Sprache, Recht
Das Bemühen, das Recht durch die Sprache dingfest zu machen,
den lehrt Juristen zuallererst die bittere Wahrheit, "dass
es so etwas wie Recht nicht gibt, sofern Recht den Vorstellungen
entspricht, die sich viele Rechtsphilosophen und -theoretiker
von ihm machen. Die Vorstellung, es gebe eine klar umrissene
vorgegebene Idee des Rechts, die sich Juristen zu eigen machen
und auf Einzelfälle anwenden, müssen wir aufgeben." Und
schon gar nicht schwebt das Recht als Geist über den Niederungen
des Streits darum, stets bereit, angerufen und durch die spirituellen Übungen
des Auslegens zum Sprechen gebracht zu werden. Selbst der hartnäckigste
Idealist wird nie stumm die Idee des Rechts weisen können.
Er muss zumindest sagen, dass er sie hat. Die bescheidene Frage,
wie er sich dessen denn so sicher sein kann, reißt ihn
gleich wieder unsanft aus seinen "transzendentalen Träumereien" mitten
hinein in die Niederungen irdischer Argumentation. Und jedes
weiteres Wort dazu verstrickt ihn nur umso tiefer in die Auseinandersetzung
darum, was rechtlich Sache ist und zur Debatte steht.
"Recht ist Streit", wie schon Heraklit wusste. Und
dort, wo es in der Entscheidung darüber zum Recht kommt,
verdankt es sich allein der Arbeit am Text. Dem "Gang vom
Normtext in den Text der Rechtsnorm" als dem beschwerlichen "Weg,
den die Gewalt durch die Sprache nimmt".
Die Sprache
aber gerät dem Juristen, der sich auf diesem
Weg um das Recht bemüht, erst einmal selbst zum Spuk. Will
er sich an sie halten um zu bekommen, was ihm der Geist versagt,
nämlich Recht, so ist er erst einmal in keiner besseren
Lage als zuvor. Die Sprache vermag ihm nicht beim Schopf zu packen,
was ihm als Geist flüchtig ist. Sie gibt ihm nur Worte,
nichts als er Worte, die wiederum er für seine Entscheidung
von Recht zu ergreifen hat. Mit jedem Wort aber, in das er Recht
fasst, steht in Frage, ob es angesichts alle der anderen auch
wirklich das rechte ist. Jedes Wort, das der Jurist in den Mund
nimmt, um Recht zu sprechen, ist gleich wieder all den Semantisierungen
preisgegeben, die das Sprechen darüber eröffnet. Jenes
Sprechen Über Sprache, in dem allein sie in Erscheinung
tritt und ist. Jenes Sprechen zugleich, das, indem es sich nur
als Frage der Sprache artikulieren kann und Sprache dadurch fraglich
hält, diese nicht anders als immer nur im Werden begriffen
sein lässt.
So wird dem
Juristen, der sich mit der Sprache um das Recht bemüht, zusammen mit der ersten eine zweite schmerzliche
Lehre erteilt. Es ist die Lehre, die Donald Davidson aus seiner
Analyse der Realitäten sprachlicher Verständigung zieht,
und dessen Formulierung daher hier für die über das
Recht adaptiert wurde. Nämlich der "Schluss, dass es
so etwas wie eine Sprache gar nicht gibt, sofern eine Sprache
der Vorstellung entspricht, die sich viele Philosophen und Linguisten
von ihr gemacht haben. Daher gibt es auch nichts, was man lernen,
beherrschen oder von Geburt an in sich tragen könnte. Die
Vorstellung, es gebe eine klar umrissene gemeinsame Struktur,
die sich die Sprachbenützer zu eigen machen und dann auf
Einzelfälle anwenden, müssen wir aufgeben." (D.
Davidson, Eine hübsche Unordnung von Epitaphen, in: E. Picardi
/ J. Schulte (Hg.), Die Wahrheit der Interpretation. Beiträge
zur Philosophie Donald Davidsons, Frankfurt/M. 1990, S. 203 ff.,
227.)
"Die Sprache" vermag also nichts für eine Entscheidung
von Recht herzugeben, schlicht, weil sie dem Juristen nicht gegeben,
sondern aufgegeben ist. Er hat über sie zu entscheiden,
um seine Arbeit tun zu können. Für die vermag ihm aber
andererseits auch nicht "das Recht" beizuspringen,
weil das buchstäblich nichts an solchem "ist".
Recht steht mit der Entscheidung im einzelnen Streitfall immer
wieder in Erwartung. Das betrifft natürlich insbesondere
das Europarecht, das als eine eigenständige Rechtsordnung
nach wie vor im Werden begriffen ist, und das, so weit es sich
etabliert und durchgesetzt hat, als "Gemeinschaftsrechtsordnung
(...) im Gegensatz zu den nationalen Rechtsordnungen nicht natürlich
gewachsen (ist)." (J. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Frankfurt/M.
/ Berlin / Bern / New York / Paris / Wien 1997, S. 2) Damit ist
für es für seine Reputation und Durchschlagskraft eben
gegenüber nationalem Recht auch in besonderer Weise auf
eine anerkannt gelungene Rechtsprechungspraxis des EuGH angewiesen,
wobei wiederum "bei einem internationalen Gericht wie dem
EuGH (...) die Akzeptanz der Urteile besonders wichtig ist, da
es an Mitteln zu ihrer Durchsetzung fehlt und das Gericht damit
auf den Befolgungswillen in den Mitgliedsstaaten angewiesen ist." (J.
Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften, Frankfurt/M. / Berlin / Bern / New York / Paris
/ Wien 1997, S. 2.)
Um dafür jene "Überzeugungskraft, sprachliche
Präzision und Eindeutigkeit des Ausdrucks" zu erreichen
(Vgl. D. Martiny, Babylon in Brüssel? Das Recht und die
europäische Sprachenvielfalt, in: ZeuP 1998, S. 227 ff.,
230.), die man dem Juristen herkömmlich als Gütesiegel
seiner Texte von Recht abverlangt, ist er indes just in jene
Sprache rückverwiesen, die er mit diesen Zielen in Arbeit
zu nehmen hat. Recht wird in Sprache gemacht und ist ohne sie
nicht zu haben, "sofern Recht überhaupt nicht von Bedeutung
sein kann denn in der Sprache." Der Jurist kann sich seinen
Weg zur Entscheidung von Recht nur mit der Sprache in ihr bahnen.
Diese genuine
Sprachlichkeit von Recht mag zwar so selbstverständlich
sein, dass der Hinweis auf sie zwangsläufig zum Gemeinplatz
geraten muss. Dennoch ist gerade deswegen nachdrücklich
an sie zu erinnern. Die schlichte Tatsache der unbedingten Sprachlichkeit
von Recht gehört, gerade "weil man (sie) immer vor
Augen hat", aufgrund ihrer "Alltäglichkeit" zu
dem verborgensten, vergessendsten und zu dem in ihrer Konsequenz
und Brisanz verkanntesten der juristischen Textarbeit, so dass
immer wieder auf sie als dem "Auffallendste(n) und Stärkste(n)
für eine Beobachtung der Praxis von Recht zu stoßen
ist. Gerade die neuere Literatur zur Rechtsprechung und Methodik
des EuGH zeigt sich immer noch einem Denken von Auslegung verhaftet,
das meint, das Recht als solches schlummere in den Gesetzen,
Vorschriften und Verordnungen und ließe sich an der Angel
der Bedeutung aus diesen herausziehen wie der Fisch aus dem Wasser.
Recht wird
immer wieder erst gemacht, indem es anhand seines Textes zur
Sprache gebracht wird, der dafür nichts bei sich
hat als nur seine sanktionsbewehrte Geltung. Recht liegt in nichts
anderem als darin, dass der Jurist den "Wörtern" jenes
Textes solche "Bedeutung" "gegeben" hat,
indem er sich im Einzelfall getreu seiner Pflicht zur Entscheidung
nach den Regeln seiner Kunst der Normformulierung dazu erklärt
hat. Das gilt innerhalb all der verschiedenen Rechtsordnungen,
mit denen es der EuGH zu tun hat, an erster Stelle für die
Traditionen kodifizierten Rechts, das dem Juristen entgegen der
Idee eines bloßen Gesetzesvollzugs nichts zuliefert, als
die Zeichenketten von Normtextformularen, an die er sich dann
allerdings zur Legitimierung seiner Entscheidung als einer Formierung
von Recht zu halten hat. Es gilt ebenso für die Traditionen
des Fallrechts, die in Hinblick auf die Orientierung der Rechtsprechung
an fest-geschrieben verbindlichen Präzedenzen prinzipiell
auf die gleichen Probleme stoßen. Und es gilt natürlich
vor allem für den EuGH selbst, dem es in besonderer Weise
obliegt, durch seine Entscheidungen anhand der Verträge,
der Verordnungen und Bestimmungen wie etwa dem "Gemeinsamen
Zolltarif" gemeinschaftliches Recht zu schaffen.
Nirgends kann
das Verhältnis von Sprache und Recht
in irgendeiner Weise als repräsentativ und damit als ein externes
gedacht werden. Es ist ein expressiv präsentatives und damit
intern. Recht vollzieht sich in seiner Bedeutung als die sprachlichen
Wendungen, die es artikulieren, als einen kommunikativ handhabbares
Thema hervorbringen, in diesem Sinne auch ins Bewusstsein rücken
und damit als eine ganz eigengeartete institutionelle Tatsache
im Raum juridischer Konfliktlösungen schaffen, sprich eben,
in der "Welt des Rechts", die in diesem Stück wiederum
dadurch erzeugt wird. "Es sind (...) drei Dinge, die durch
Sprache zuwege gebracht werden: die Erzeugung von Artikulationen
und damit das Hervorbringen expliziten Bewusstseins; das Hineinstellen
der Dinge in den öffentlichen Raum und auf diese Weise die
Konstitution eines solchen öffentlichen Raums; das Treffen
von Unterscheidungen, die grundlegend für die menschlichen
Anliegen sind und uns daher für diese Anliegen öffnen." (Ch.
Taylor, Bedeutungstheorien, in: ders., Negative Freiheit, Frankfurt/M.
1988, S. 74: ) Für das der Schaffung geordneter rechtlicher
Verhältnisse ebenso, wie für alle anderen menschlichen
Angelegenheiten auch.
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