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Linguistik Rechtslinguistik: Sprache des Rechts
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systematische Konkretisierung der Gerichte
Die systematische Konkretisierung ist zunächst von der grammatischen abzugrenzen. In einer Entscheidung, welche die Übertragung der Aufgaben von einer Oberfinanzdirektion auf eine andere betraf, führt das Gericht aus: "Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann diesem Wortlaut nicht entnommen werden, dass hiermit lediglich die Ermächtigung zur Übertragung einzelner Bundes- oder Landesaufgaben erteilt werde." Die Fragestellung des Gerichts ergibt sich aus dem Vortrag einer Prozesspartei. Die vorgeschlagene Lesart wird dann an der internen Systematik des Normtextes gemessen. Dies begreift das Gericht noch als grammatische Auslegung. Mit der Heranziehung eines zweiten Normtextes vollzieht sich dann für das Gericht der Übergang zur Systematik: "Bestätigend wirkt schließlich der systematische Zusammenhang des § 8 Abs. 3 FVG mit dem ergänzend hinzutretenden § 9 Abs. 3 FVG, der die Konsequenzen umfassender Aufgabenübertragung für die Rechtstellung des Oberfinanzpräsidenten bestimmt." Die Abgrenzung von grammatischen und systematischen Argumenten ist allerdings nicht objektiv vorgegeben. Was als Texteinheit angesehen werden muss, hängt immer von der Fragestellung ab. Eine grammatische Interpretation kann also auch innerhalb eines Normtextes stattfinden, etwa in Art. 5 zwischen Meinungs- und Pressefreiheit. Gut erkennbar ist in dieser Entscheidung die Bestimmung der Rolle des systematischen Elements als Instanz für die Widerlegung der von den Prozessparteien vorgeschlagenen Lesarten.

Diese Rolle erfüllt die systematische Auslegung sowohl auf der Ebene einer Beobachtung erster Ordnung als auch auf der einer Beobachtung zweiter Ordnung. In der Systematik erster Ordnung wird der Zusammenhang des Gesetzes betrachtet, in derjenigen zweiter Ordnung dagegen der Zusammenhang der Rechtsprechung. Die Selbstbeobachtung der Gerichte als Beobachtung zweiter Ordnung ist natürlich nur da möglich, wo bereits eine einschlägige Judikatur vorliegt. Das gilt vor allem für rechtliche Kernbereiche, wenn sie über eine längere Zeit unverändert geblieben sind. In Randgebieten und bei Neuregelungen ist die systematische Auslegung dagegen auf den Kontext des Gesetzes beschränkt. Ein Beispiel für eine Neuregelungslage bietet im Verfassungsrecht die Altenpflegeentscheidung als erstes Judikat zum geänderten Art. 72 Abs. 2 GG. Die Frage war neu geregelt worden, um dem Bund den Zugriff auf die konkurrierende Gesetzgebung zu erschweren. Bei der Konkretisierung der neuformulierten Begriffe konnten frühere Entscheidungen keine Rolle spielen, so dass für die Abgrenzung der Begriffe "Wirtschaftseinheit" und "Rechtseinheit" nur die Systematik des Grundgesetzes als Argumentationsgrundlage zur Verfügung stand. Wenn es dagegen in derselben Entscheidung um Problemstellungen geht, die schon gerichtlich bearbeitet sind, vollzieht sich der typische Übergang zur Systematik zweiter Ordnung.

JM I, Rn. 67d
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