|
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
Sprachkritik |
 |
Der Wortlaut einer Vorschrift geschriebenen Rechts, der Normtext, besteht aus sinnlich wahrnehmbaren Schriftzeichen. Diese sind Mittel einer „Projektion der möglichen Sachlage", hier: einer zwischenmenschlich „normativ" motivierenden Kraft des im Normtext angesprochenen Ordnungsmodells. Zu diesem Satz „gehört alles, was zur Projektion gehört; aber nicht das Projizierte". Der durch den tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang „normativ", somit als „geltend" garantierte Satz „Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt" ist nicht eine Rechtsnorm, sondern nur die erste einer Reihe von Textstufen, die von diesem Normtext bis zum Urteilstenor führt, also bis zum Text der Entscheidungsnormen.
Der von der Philosophie ausgehende Ansatz der Sprachkritik wird durch die neuere Entwicklung in der Sprachwissenschaft noch vertieft. Diese zieht die Folgerungen aus jener Traditionslinie einer Reflexion auf Sprache, die sich gegen die lange vorherrschende aristotelische Auffassung von Sprache als Nomenklatur wendet. Diese Unterströmung beginnt im deutschsprachigen Raum mit der Kritik Hamanns und Herders an den .Purismen' eines rationalistischen Systemdenkens von Sprache. Sie wird fortgesetzt in den Humboldtschen Ausarbeitungen eines Begriffs von Sprache als tätiger Welterschließung und hat in Wittgensteins kompromissloser Auffassung von „Sprache als Praxis" ihren Höhepunkt. Vor dem Hintergrund dieser Tradition und unmittelbar an die angloamerikanische Philosophie der .normalen Sprache' anknüpfend, tritt in der Sprachwissenschaft mit der pragmatischen Wende dann auch die sprachsystembezogene und statische Sicht des linguistischen Strukturalismus zunehmend hinter eine sprecherbezogene und die Sprachdynamik berücksichtigende Perspektive zurück. Die in den neueren sprachwissenschaftlichen Ansätzen vorausgesetzte Bedeutungstheorie wird sprachhandlungstheoretisch begründet. Darin liegt der Gegensatz zur traditionellen semantischen Theorie, welche die Bedeutung als feste Entität ansah. Bedeutungen waren danach durch willkürliche Festlegungen zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer bestimmten Lautstruktur ein für allemal verbunden worden, und man konnte über diese Bedeutungen in der gleichen Art und Weise sprechen, wie man über Gegenstände spricht. Demgegenüber führt die sprachhandlungstheoretische Position dazu, anknüpfend an Wittgenstein den Grund der Bedeutungen mit ihrer Theorie im praktischen Gebrauch zu suchen. Bedeutung ergibt sich danach aus Begründungen und Erklärungen für den Sprachgebrauch in einer bestimmten Situation. Texte erscheinen dann nicht länger als eine der Erkenntnis fest vorgegebene Größe, sondern sind als der Ausfüllung bedürftige Textformulare nur in und aus der Produktions- und Verstehenssituation analysierbar. Die Offenheit der Bedeutung für den konkreten Gebrauch macht es möglich, den Vorgang der Interpretation zwischen den Extremen von „subjektiver Willkür" und „objektiver Erkenntnis" sowohl nach der Seite ihrer Gebundenheit als auch nach der ihrer Freiheit zu begreifen.
JM I, Rn. 209 f. |
 |
|
 |
|
|