|
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
Realdaten |
 |
Methodisch zu unbestimmt, sachlich sehr sorgfältig zieht das Gericht Realdaten aus den Sachbereichen des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 S. l GG) und des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags (Art. 7 Abs. l GG) im Sexualkunde-Beschluß heran, so die Unterscheidung einer Wissen vermittelnden Sexualwissenschaft und einer Werte vermittelnden Sexualerziehung, die Rolle der Eltern in der Sexualerziehung der Kinder, deren Abhängigkeit von Lebensweise und Auffassungen der Eltern, die Rolle der Religion als eines sozialen Faktors für die Sexualmoral, die vielfältigen gesellschaftlichen Bezüge des Sexualverhaltens sowie faktische Unterschiede schulischer Sexualerziehung zu der durch die Eltern. Da und soweit diese Faktoren mit den Normprogrammen der Art. 7 Abs. l und 6 Abs. 2 S. l GG vereinbar und ferner für die Entscheidung des vorliegenden Falles erheblich sind, werden sie nicht nur Sachbereichs-, sondern Normbereichselemente. Der Senat setzt sie dafür ein, den dogmatischen Gehalt des elterlichen Erziehungsrechts wie des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags sowie das Verhältnis beider zueinander zu präzisieren.
In einer anderen Entscheidung werden im Rahmen des Sondervotums Tatsachen aus dem sozialen Sektor Familie zwar methodisch wenig reflektiert, aber im Vergleich mit der Mehrheitsentscheidung dennoch sachlich rationaler offengelegt. Es geht dort um die Frage, wieweit die Kosten einer Hausgehilfin zugunsten erwerbstätiger Eltern mit unterschiedlicher Kinderzahl steuerlich verschieden behandelt werden dürfen. Der dissentierende Richter argumentiert mit Realdaten zu den Sachbereichen der Generalklausel des Art. 3 Abs. l GG sowie der Grundrechte nach Art. 6 Abs. l und 12 Abs. l GG (zum Beispiel „die gegenwärtige Jugendarbeitslosigkeit", „die faktische Lage der Frauen", Verhältnis der steuerlichen Behandlung der Kosten einer Hausgehilfin zur allgemeinen steuerlichen Behandlung von Kinderbetreuungskosten, Vergleich einkommensschwacher mit gutverdienenden Ehepaaren). Vom Tatsächlichen her werden drei Familientypen (nur der Ehemann berufstätig - beide Eheleute berufstätig - alleinstehende Elternteile) mit Blick auf ihre steuerliche Behandlung näher untersucht. Diese Typisierung im Faktischen ist mit dem Normprogramm des Art. 6 Abs. l GG vereinbar und zur Konkretisierung des dort normierten „besonderen Schutzes" in einem Fall wie diesem auch erheblich; sie zählt also nicht nur zum Sachbereich, sondern zum Normbereich des Grundrechts. Da hier das Normprogramm der Generalklausel des Allgemeinen Gleichheitssatzes einer entsprechenden Qualifikation nichts in den Weg legt, gehört diese Typisierung gleichzeitig auch zum Normbereich des Art. 3 Abs. l GG in der Fragestellung des vorliegenden Falles.
Ferner sind zu den grundrechtlichen Normbereichen von Ehe und Familie neben der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der §§ 1628, 1629 Abs. l BGB vor allem Fälle zur Ehegattenbesteuerung und damit zur wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Normbereichsfaktoren von Gewicht. Für die nichtrechtserzeugten Normbereichsteile werden die „wesentliche Struktur", für die Garantie unterverfassungsrechtlicher Vorschriften des Ehe- und Familienrechts ein „Normenkern" herausgearbeitet. Angesichts der traditionellen Geformtheit dieser Institutionen geht das Bundesverfassungsgericht so weit, die Grundstruktur des Normbereichs von Art. 6 Abs. l GG „zunächst aus der außerrechtlichen Lebensordnung" ermitteln zu wollen. Es meint damit die grundlegenden institutionellen Verhältnisse von Ehe und Familie; übersieht aber, dass auch diese bereits von der Rechtsordnung, vor allem vom Bürgerlichen Recht, geprägt sind. Nicht eine „außer"rechtliche Ordnung umschreibt die Strukturprinzipien von Ehe und Familie, sondern eine rechtlich mitgeformte und zudem in der Perspektive des verfassungsrechtlichen Normprogramms von Art. 6 GG erfragte Ordnung. Ein anderes Problem ist, ob nicht der Strukturwandel dieser Institute in der Industriegesellschaft der Gegenwart hätte stärker berücksichtigt werden müssen.
Das ist in einer Reihe anders gelagerter Fälle zum Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG auf breiterer Grundlage geschehen. Im Einkommensteuerrecht wird die Möglichkeit, die Ehe zum Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen zu machen, insoweit eingeschränkt, als die Anknüpfung der Natur des geregelten Lebensgebietes, hier der Struktur des Normbereichs, entsprechen muss. Diese liefert Gesichtspunkte für die Frage sachlicher Zulässigkeit einer steuerlichen Sonderbehandlung durch den Gesetzgeber. Wenn im Familienrecht und auf einzelnen Gebieten des Fürsorgerechts die Anknüpfung allein an die Tatsache des Ehestands in der „Natur der Sache", also im - hier weitgehend rechtserzeugten -Normbereich liegt, so ist das bei rein abgabenrechtlichen Vorschriften nicht ohne besondere Rechtfertigung aus dem Normbereich der Fall. Das Hinzutreten des Grundrechtsschutzes von Ehe und Familie engt den im Steuerrecht sonst gegebenen Spielraum des Gesetzgebers entscheidend ein, seine differenzierenden Regelungen und Sondervorschriften wirtschaftspolitisch, finanzpolitisch, volkswirtschaftlich, sozialpolitisch oder steuertechnisch zu rechtfertigen. Auch seine Prüfung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung an Art. 6 Abs. l i. V. m. 3 Abs. l GG hat das Gericht mit rechtserzeugten (Familienlastenausgleich) wie mit nicht-rechtserzeugten Realdaten (Demographie, Doppelberufstätigkeit) abgestützt.
Der Normbereich ist also nicht mit den sachlichen Einzelheiten des Sachverhalts identisch. Er ist ein Strukturbestandteil der Rechtsvorschrift selbst. Die am Normprogramm ausgerichtete und begrenzte Ermittlung der Realdaten ergibt den Normbereich der Rechtsnorm. Das bedeutet arbeitsmethodisch: Sachgehalte dürfen nicht wahllos in den Konkretisierungsvorgang eingehen, sondern nur in textorientierter und verallgemeinerungsfähiger Form; auch hierüber hat eine nachpositivistische Methodik Regeln zu entwickeln. Der Jurist, dem eine Entscheidung anhand des geltenden Rechts abverlangt wird, geht vom Sachverhalt aus. Er wählt mit Hilfe von dessen Merkmalen aus der Normtextmenge des sogenannten geltenden Rechts diejenigen Normtexthypothesen, die er nach seinem Vorwissen für einschlägig hält. Er kommt von diesen zu den Sachbereichen der durch die Auswahl der Normtexthypothesen als einschlägig unterstellten Vorschriften. Aus Gründen der Arbeitsökonomie verengt er diese Sachbereiche in der Regel zu Fallbereichen und erarbeitet in der Folge aus der Interpretation sämtlicher Sprachdaten das Normprogramm. Mit dessen Hilfe wählt er aus dem Fallbereich - der gegenüber der größeren und unbestimmteren Faktenmenge aus dem Sachbereich den fallbezogenen Filter bildet, somit eine sonst oft übergroße Komplexität auf arbeitstechnisch wünschenswerte Art einschränkt - schließlich den Normbereich als Sachbestandteil der Rechtsvorschrift.
Die Normbereichselemente sind für die positive Inhaltsbestimmung der zu entwickelnden Rechts- und Entscheidungsnorm den Elementen der Textinterpretation gleichrangig. Negativ, d. h. für die Bestimmung der Grenze zulässiger Ergebnisse, haben aus rechtsstaatlichen Gründen die am unmittelbarsten und ausschließlichsten auf Normtexte bezogenen Interpretationselemente, also die grammatische und systematische Auslegung, Vorrang vor allen anderen, auch vor den Elementen des Normbereichs. Im Sinn der Abgrenzung und Begrenzung steuert das anknüpfend an den amtlichen Wortlaut gewonnene Normprogramm nicht nur den Vorgang der Auswahl von Sachgesichtspunkten aus dem allgemeinen Regelungsbereich der Vorschrift (Sachbereich) und aus dem Fallbereich zum Normbereich, sondern den gesamten Vorgang der Konkretisierung. Aus demselben Grund wird eine Kollision von Normbereichselementen mit den im Einzelfall das Normprogramm ergebenden Sprachdaten nicht aktuell. Es ist nicht etwa so, dass in Konflikten zwischen Konkretisierungsfaktoren jeweils die Realdaten „ihren" Sprachdaten, das heißt jenen folgen würden, mit deren Hilfe sie aus dem Sachbereich ausgewählt und im Rahmen des Normbereichs zur Erstellung der Rechtsnorm herangezogen worden sind. Das Normprogramm in seiner verbindlichen Formulierung ist vielmehr bereits ein Gesamtergebnis aus den einschlägigen sprachlichen Konkretisierungselementen - sei es im Sinn der Konvergenz, sei es im Fall methodologischer Konflikte aufgrund von Präferenz. Diesem Gesamtergebnis als dem Maßstab für die Qualifizierung der Realdaten folgt dann inhaltlich der Normbereich. Die Auswahl der Realdaten zum Normbereich fügt sich der vorherigen Formulierung der Sprachdaten insgesamt, dem Normprogramm.
JM I, Rn. 44 ff., 235, 438 |
 |
|
 |
|
|