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Problemstellung der Rechtsanwendung |
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Die traditionelle Verdoppelung des Rechts stellt eine degenerative Problemverschiebung dar. Die „Was-ist-Frage“ der herkömmlichen Lehre mündet in die argumentative Beliebigkeit von Ontologie. Sie muss deswegen durch die Frage ersetzt werden: Wie funktioniert Rechtsanwendung? Es geht bei dieser nicht um die Explikation einer im Text schon vorgegebenen Rechtsnorm. Eher handelt es sich um eine "Komplikation", das heißt eine Verschiebung von Text und Leser durch einen neuen Fall. Der Richter erkennt nicht die Rechtsnorm. Er konstruiert sie. Um diese Konstruktion sichtbar zu machen, darf in den Text als Ausgangspunkt der richterlichen Tätigkeit nicht schon das hineingelegt werden, was erst noch erzeugt werden muss: die Bedeutung.
Die Problemstellung ist in der Wissenschaft die alles entscheidende Ebene. In der wissenschaftstheoretischen Diskussion hat der französische Philosoph Deleuze sogar vorgeschlagen, das Wahrheitskriterium in das Problem selbst hinein zu verlegen. Er will damit betonen, dass es zunächst nicht darum geht, ob eine Problemlösung richtig oder falsch ist; sondern darum, das Problem zu finden und es in den Begriffen, in denen es gelöst werden kann, zu stellen.
Die Frage nach der Struktur von praktischer Rechtskonkretisierung ist zu unterschiedlich von Ontologie und Rechtsquellenlehre, um auf deren Ebene richtig gestellt werden zu können. Es gibt dort nur Erkenntnis/Nichterkenntnis bzw. richtig/falsch; und man bräuchte einen privilegierten Zugang zur Realität, um diese Alternativen zu entscheiden. Eine im Ergebnis offene Diskussion über unterschiedliche Auffassungen ist dann nicht möglich.
Wenn man dagegen die Ontologie vermeidet und zur Beobachtung zweiter Ordnung übergeht, kann man die methodische von der normativen Dimension unterscheiden und gewinnt eine Vielzahl neuer Fragestellungen, die Diskussion erlauben.
Im ganzen zeigt sich, dass das Problem richterlicher Rechtserzeugung im Bereich des Gemeinschaftsrecht nicht richtig gefunden und gestellt werden kann, solange man als Gegenstand der Textarbeit die objektive Bedeutung angibt. Erst wenn man das Textformular, d.h. den Normtext als Zeichenkette, und den Konflikt um seine Bedeutung zum Ausgangspunkt nimmt, wird das Problem richterlicher Rechtserzeugung methodisch und normativ überprüfbar.
Die Notwendigkeit, von der Beobachtung erster Ordnung zu der zweiter Ordnung überzugehen, ergibt sich daraus, dass das Objekt juristischer Erkenntnis nur in Sprache existiert. Sprache lässt sich aber nicht als Gegenstand von außen beobachten, sondern nur als teilnehmende Praxis.
JM II, S. 157, 159 f. |
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