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primärrechtskonforme Auslegung
Es ist geboten, die einzelnen Gesetze wie auch die Gesamtheit der Verträge des Primärrechts so zu interpretieren, dass unter ihnen keine Widersprüche entstehen; sie sind gleichsam „harmonisierend“ auszulegen. Die Einheitlichkeit des Vertrags spricht auch im vertikalen Verhältnis zwischen Primärrecht und Sekundärrecht dafür, dass die im nachrangigen Sekundärrecht verwendeten Begriffe inhaltlich denen des Primärrechts entsprechen. Nach ständiger Rechtsprechung behandelt der Gerichtshof ihrem üblichen Wortsinn nach unklare Begriffe daher primär rechtskonform. Eine Bestimmung des sekundären (abgeleiteten) Gemeinschaftsrechts ist im Fall ihrer Mehrdeutigkeit so auszulegen, dass sie mit dem EG-Vertrag und den „allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts“ vereinbar ist.

Die Konkretisierung, bei der eine Verordnungs- oder Richtlinienvorschrift mit denen des höherrangigen Primärrechts in Einklang steht, ist einer solchen vorzuziehen, bei der das nicht der Fall ist. Es handelt sich also um eine Struktur wie bei der verfassungskonformen Auslegung. Der EuGH geht grundsätzlich von der Vermutung aus, dass der Normsetzende sich an den höherrangigen Normen ausrichten, sich an deren Vorgaben orientieren will. Dabei fungiert das höherrangige Gemeinschaftsrecht zum einen als Prüfungsmaßstab; zum andern dient es aber auch der Bestimmung des Inhalts der Norm niedrigeren Ranges.

Ein Unterschied zu der in Nationalstaaten bekannten verfassungskonformen Auslegung fällt jedoch auf; er ergibt sich aus dem dynamischen Charakter des Gemeinschaftsrechts. In den Bereich der vertragskonformen Auslegung sind nicht nur die Fälle einzuordnen, in denen der Gerichtshof die mit dem Vertrag vereinbare Auslegung wählt; sondern auch die, in denen er darum bemüht ist, die Interpretation des Sekundärrechts soweit wie möglich an den Bestimmungen des Primärrechts auszurichten, um dessen Zielsetzungen zu verwirklichen. Bereits in der Rechtssache „Ciechelski“ hatte der EuGH festgestellt, eine Verordnung sei im Zweifel so auszulegen, wie es den primärrechtlich festgelegten Zielen (in diesem Fall denen der Artikel 48-51 EWGV) am ehesten entspricht. Das heißt, die vertragsrechtskonforme Auslegung gebietet es, vertragliche Zielsetzungen so weit wie möglich auszuschöpfen. Eine anders erfolgende Interpretation vermag aber die Wirksamkeit des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nicht unbedingt zu beeinträchtigen. Diese Auslegung des Sekundärrechts, die sich am höherrangigen Recht ausrichtet und dessen Zielsetzung weitestgehend zu verwirklichen sucht („effet utile“/Effektivitätsgrundsatz), erweist sich auch hier als ein gemeinschaftsrechtlicher Fall von systematisch-teleologischer Interpretation.

Auf der anderen Seite darf das Ergebnis der Konkretisierung nicht über das von den Vertragsbestimmungen jeweils verfolgte Ziel hinausschießen; d.h. sie ist so durchzuführen, dass das Resultat nicht den Vorgaben der Vertragsvorschriften und den systematischen Zusammenhängen widerspricht. Beispielsweise darf eine Verordnung nicht so interpretiert werden, dass das Ergebnis über ihre Zielsetzung hinausgeht und sich „gleichzeitig außerhalb der Zweckbestimmung und des Rahmens“ der primärrechtlichen Grundlage der Verordnung stellt.

Man sollte die primärrechtskonforme Auslegungsmethode nicht als besonderen Fall der systematischen begreifen. Es handelt sich bei ihr nicht wie bei dieser um die Zusammenschau von Normen, die hierarchisch auf einer Stufe stehen. Vielmehr werden Vorschriften miteinander abgeglichen, die innerhalb derselben Rechtsordnung einen unterschiedlichen Rang haben. Nicht zuletzt dies rechtfertigt den gedanklichen Vergleich mit dem nationalen Auslegungsgrundsatz der verfassungskonformen Auslegung: zu der Wirksamkeitskontrolle tritt innerhalb des Auslegungsspielraums des einfachen Rechts noch eine am Zweck orientierte Inhaltsbestimmung.

JM II, S. 326 ff.
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