Im Rahmen der herkömmlichen Lehre wird das Präjudiz damit zur subsidiären Rechtsquelle. Jenseits der "Wortlautgrenze" oder bei "Unbestimmtheit" des Textes sollen die Vorentscheidungen in die Bresche springen und dem Richter Rechtserkenntnis ermöglichen. Das Rechtserkenntnismodell bleibt so die prinzipielle Schranke bei der Untersuchung der Rolle des Präjudizes. Wenn der Normtext als Gegenstand der Bedeutungserkenntnis versagt, wird er von der Vorentscheidung als Gegenstand der Erkenntnis ersetzt. In einem nicht näher einzugrenzenden Bereich wird dem Präjudiz damit eine normtextähnliche Rolle eingeräumt. Es ist angeblich Gegenstand der Rechtserkenntnis und richterlicher Bindung. Aber natürlich kann der Text einer Vorentscheidung dem Leser ebenso wenig eine feste Bedeutung als Gegenstand vorgeben, wie dies der Normtext vermochte. Nach dem praktischen Versagen des Rechtserkenntnismodells bleibt die argumentative Rolle des Präjudizes nach wie vor zu bestimmen.