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Postmarxismus |
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Natürlich hatte sich schon lange vor dem Zusammenbrach des marxistischleninistischen Systems im westlichen Marxismus eine scharfe Kritik an dieser Rechtstheorie entwickelt. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der vom Marxismus-Leninismus vorausgesetzte homogene Gesamtwille des Volkes tatsächlich erst noch zu bilden wäre. Der Ansprach des sozialistischen Rechts, Willensausdruck des gesamten Volkes zu sein, ist aus dieser Sicht bloße Rechtfertigungslehre für die einseitige Bestimmung des Rechts als staatliches Leitungsinstrument und führt in der Konsequenz dazu, dass das Recht die Rolle des subjektiven Faktors usurpiert und diesen zum bloßen Rechtobjekt macht.
Aber gibt es auch eine Ordnung aus Freiheit? Lässt sich die Ordnung der sozialen Emanzipation auf befreiende Weise von unten denken? Diesen Fragen ist vor allem Ernst Block in seinem Naturrechtsbuch nachgegangen, wenn er dessen subjektive Seite wieder aufnimmt. Er versucht, mit der Garantie subjektiver Rechte die soziale Ordnung aus der demokratisch konstituierten Selbstbeschränkung politisch mündiger Individuen hervorgehen zu lassen. Er muss sich dann aber mit dem Problem auseinandersetzen, ob sich das subjektive Formprinzip der naturrechtlichen Freiheitsgarantie mit dem materialistischen Anspruch verträgt, den praktischen Emanzipationsbestrebungen eine wissenschaftliche Grundlage zu schaffen. Denn die naturrechtlichen Freiheitsgarantien zielen tatsächlich auf eine subjektiv konstituierte gesellschaftliche Synthese. Nicht die staatliche Steuerung mittels des Rechts steht hier im Vordergrund, sondern der herrschaftskritische Gedanke, dass Recht die staatliche Macht einschränken und den Individuen eine Sphäre individueller Mitgestaltung der politischen Zukunft garantieren kann. Geschützt von dem im Naturrecht entwickelten Rechtsstaatsgedanken, soll dem menschlichen Willen ein originäres Mitbestimmungsrecht über Form und Ziel der gesellschaftlichen Synthese gesichert werden.
Allerdings bleibt bei Bloch, wie generell im westlichen Marxismus, eine Ambivalenz in der Kritik enthalten: die Frage nämlich, ob die Vorstellung eines homogenen gesellschaftlichen Gesamtwillens aufgegeben werden muss oder nur zeitlich aufgeschoben wird. Im letzten Fall wäre der Pluralismus, wie in der liberalen Theorie, nur Mittel für die Herausbildung des besten Preises bzw. der schönsten Emanzipation. Der Pluralismus wäre aber kein Eigenwert.
Der Neuansatz in der marxistischen Theoriebildung beseitigt diese Ambivalenz: „In der Krise ist gegenwärtig die gesamte Konzeption des Sozialismus, die auf der ideologischen Zentralität der Arbeiterklasse, auf der Rolle der Revolution als dem begründenden Moment im Übergang von einem Gesellschaftstyp zu einem anderen sowie auf der illusorischen Erwartung eines vollkommen einheitlichen und gleichartigen kollektiven Willens, der das Moment der Politik sinnlos macht, basiert. Der plurale und mannigfaltige Charakter der zeitgenössischen sozialen Kämpfe hat endgültig die letzte Grundlage für dieses politische Imaginäre aufgelöst. Ausgestattet mit ,universalen' Subjekten und begrifflich um Geschichte im Singular errichtet, hat es 'Gesellschaft' als eine intelligible Struktur behauptet, die auf der Basis bestimmter Klassenpositionen intellektuell beherrscht und durch einen stiftenden Akt politischer Natur als eine rationale und transparente Ordnung wiederhergestellt werden könnte. Heute ist die Linke Zeuge des letzten Aktes der Auflösung dieses jakobinischen Imaginären." Es wird damit das politische Projekt der Aufklärung von deren erkenntnistheoretischem Projekt abgetrennt. Denn im universellen Rationalismus ist die Nichtanerkennung des Einzelnen mit entsprechenden Ausschließungsmechanismen abgesichert. Nach dieser Trennung wird es unmöglich, Gesellschaft von einer einzigen universalen Logik her zu denken; und die „Undurchsichtigkeit" oder „Nichtrepräsentierbarkeit" wird zur Bedingung sowohl der Möglichkeit wirklicher Demokratie als auch zur Bedingung der Unmöglichkeit ihrer vollen und endgültigen Verwirklichung. Die Demokratie bleibt als diskursive Konstitution der Gesellschaft notwendig im Kommen. Gleichzeitig gewinnt das Politische eine über den Staat weit hinausreichende grundlegende Bedeutung. Es erscheint nicht mehr, wie in den soziologischen Theorien von Luhmann oder Habermas, als Teilsystem der Gesellschaft, sondern als zentrale Möglichkeitsbedingung des Sozialen. Gesellschaft wird nicht mehr länger als objektiv vorgegebene Totalität gefasst, sondern als das komplexe und instabile Resultat vielfältiger politischer Artikulationen. Hier ist allerdings eine Präzisierung nötig. Nach Luhmann ' wäre ein Primat der Politik destruktiv für moderne Gesellschaften. Bei Laclau bedeutet Primat aber gerade nicht Zentrum, sondern er bezeichnet die antagonistische Situation der Unentscheidbarkeit. Diese Unentscheidbarkeit als Bedingung der Möglichkeit des Politischen ist aber auch gleichzeitig die Bedingung der Unmöglichkeit seiner Einsetzung als Zentrum. Umgekehrt lässt sich Politik in diesem Sinn nicht auf eine „Politik der Gesellschaft" reduzieren, wie es in der Logik Luhmanns liegt. Denn die Momente von Entscheidung und Unentscheidbarkeit sind nicht auf die Politik als ein soziales System unter vielen zu beschränken. Vielmehr kommen Phänomene von Macht und Entscheidung in allen sozialen Systemen vor. Deswegen muss Politik als ein parasitäres Konzept gefasst werden, das gerade nicht an ein bestimmtes Funktionssystem gebunden ist, sondern immer dann auftritt, wenn die systemische Schließung zusammenbricht. Gerade diese Schließungsbewegungen werden verschoben oder disloziert und öffnen das System damit für Re-Artikulationen. Wenn man aber die Gesellschaft als Prozess diskursiver Konstituierung fasst, wird deutlich, dass wir nicht einfach in der kruden Realität leben, sondern in einer durch Medien verbundenen Enzyklopädie, um deren Stichworte und Verknüpfungen beständig gerungen wird. An dieser Stelle erscheint bei Laclau/Mouffe der Begriff der „Überdeterminierung", welcher die Pluralität und den umkämpften Charakter des Symbolischen als soziales Band in den Blick bringt. Im Rahmen des semantischen Kampfes um die Hervorbringung der Gesellschaft wird auch die nicht pejorative Bedeutung von Macht sichtbar. In der Konzeption von Marx war die freie Gesellschaft gedacht als Aufhören von Macht und Verschwinden von Staat und Recht. Aber wie Laclau zu Recht bemerkt, sind totale Rationalität und Wahlfreiheit nicht miteinander vereinbar: „Das konfrontiert uns mit folgendem Paradox: das, was die Freiheit beschränkt - das heißt die Macht -, ist auch das, was die Freiheit möglich macht. (...) Ich entscheide auf einem Terrain des Unentscheidbaren, ich übe eine Macht aus, die aber gerade die Bedingung meiner Freiheit ist. Diese Macht setzt - wie jede Macht - die Unterdrückung von Möglichkeiten voraus, die nicht aktualisiert werden. Diese Repression ist gleichzeitig die Ausübung meiner Macht wie die Ausübung meiner Freiheit. Das heißt, dass eine völlig freie Gesellschaft - in der jede Macht abgeschafft wäre - und eine gänzlich unfreie, dieselben Konzepte darstellen. (...) Die Beziehung zwischen Macht und Freiheit ist eine der permanenten Neuaushandlung und Verschiebung ihrer wechselseitigen Grenzen, während die beiden Seiten der Gegenüberstellung immer bestehen bleiben. Auch die demokratischsten Gesellschaften sind der Ausdruck von Machtbeziehungen, keine totale oder schrittweise Eliminierung von Macht." Den Machtverhältnissen der Politik kommt damit die Aufgabe zu, den offenen Prozess des Sozialen vorläufig zu schließen. Gleichzeitig kann diese Schließung, in der ein Partikulares die unmögliche Aufgabe einer universalen Repräsentation übernimmt, als hegemoniales Verhältnis nie endgültig sein. Sie bleibt eine ständig, aber nie endgültig zu lösende Aufgabe.
Der „Post-Marxismus" von Laclau und Mouffe versteht sich nicht als neue Wahrheit, sondern als Versuch, dem Marxismus seine Geschichtlichkeit zurückzugeben, indem er als praktische diskursive Intervention verstanden wird. Weil das
positivistische Wissenschaftsideal des klassischen Marxismus aufgegeben wird, kann die Alternative von schlechter Theorie versus schlechter Praxis in der bisherigen marxistischen Rechtstheorie überwunden werden. Eine post-marxistische Theorie des Rechts müsste ihren Ort in der diskursiven Analyse von Entscheidungen finden. Als Entscheidungstheorie hätte sie für die kommende Demokratie die Offenheit des Diskurses zu wahren. Dabei hätte sie, genau wie in der Theorie der Emanzipation, die essentialistischen Fragen nach dem Was und Wer der Entscheidung durch die Frage nach dem Wie zu ersetzen.
Die keinesfalls überzeitlich gültige, unter den besonderen sozialgeschichtlichen und politischen Bedingungen der europäischen Neuzeit entwickelte Formalität des Rechts- und Verfassungsstaats ist heute im Weltmaßstab wirksam. Solange sie nicht geschichtlich überholt ist und überall dort, wo sie sich noch nicht als konkret überholbar erwiesen hat, vollzieht sich der rechtlich orientierte Bezirk politischen Handelns und sozialer Organisation unentrinnbar (und offenkundig unabhängig von formaljuristischer Vergesellschaftung der Produktionsmittel) nach eben diesen Regeln; mit eben diesen Instrumenten verdinglichter Vernunft, die in einer juristischen Methodik auf den Begriff zu bringen sind.
JM I, Rn. 200 |
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