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Normstruktur |
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Die Normstruktur als Wissenselement der Entscheidung folgt aus der Verallgemeinerung des praktischen Vorgehens der Gerichte. "Normativ" heißt dabei all das, was dem Entscheidungsprozeß Richtung gibt: alle Elemente, die nicht entfallen können, ohne dass der Fall anders entschieden würde. Diese lassen sich zu zwei Gruppen zusammenfassen: einmal die primär sprachlich vermittelten Daten aus Normtexten und anderen Texten und zum anderen die sekundär sprachlich vermittelten Daten über Zusammenhänge der Wirklichkeit. "Normstruktur" bezeichnet den Zusammenhang zwischen den Bestandteilen dieser Rechtsnorm: "Normprogramm" heißt das aus den primären Sprachdaten gebildete Ergebnis der Interpretation der benützten Texte. "Normbereich" ist im Unterschied zum dogmatischen Begriff des Schutzbereichs ein strukturell zu bestimmender Begriff, der sich auf alle die Normativität mitkonstituierenden Sachbestandsteile der Norm bezieht. Während der "Sachbereich" die Gesamtheit der anfänglich zur Fallerzählung assoziativ eingeführten Tatsachenhypothesen bezeichnet und der "Fallbereich" einen arbeitsökonomisch verengten Ausschnitt daraus darstellt, wird der Normbereich mit Hilfe der wertenden Perspektive des Normprogramms aus Sach- bzw. Fallbereich gebildet.
Das noch herrschende Verständnis der Rechtsnorm, die als fertiger Befehl erscheint, verwechselt Norm und Normtext. Der Normtext kann mit seiner Signalwirkung die Konkretisierung anregen und mit seiner Grenzwirkung die Schranken zulässiger Konkretisierung aufzeigen helfen, aber er kann die normative Anweisung nicht bereits substantiell enthalten. Entgegen der positivistischen Annahme einer bloßen Erkenntnis vorgegebener Bedeutung kann der Text nicht verlässlicher Gegenstand juristischer Erkenntnis sein, sondern – auf verfassungsrechtlich ausgezeichnete Weise – die Konstruktion der Rechtsnorm beeinflussen. Die Rechtsnorm ist auf eine zweifache Weise mehr als ihre Sprachfassung. Auf der Achse Norm — Wirklichkeit heißt die Unterscheidung von Norm und Text, den Normbereich nicht als Gegenpol oder Grenze der Rechtsnorm zu behandeln, sondern als ihren Bestandteil. Auf der Achse Norm — Fall wird mit der Unterscheidung von Norm und Normtext die Entscheidung sichtbar, die der Positivismus hinter der rhetorischen Fassade sprachlich vorgegebener Bedeutung verstecken wollte. Die Rechtsnorm erscheint nicht länger als der sichere Ausgangspunkt juristischen Handelns. Sie verwandelt sich vielmehr in dessen lege artis zu konstruierendes Ziel.
JM II, S. 172 |
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