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Übersetzungsmaschinen und Mehrsprachigkeit
Es stellt sich die Frage, ob man vielleicht vom Ganzen der Sprache her das Moment von Interpretation in der Übersetzung ausschalten kann. Das war die Hoffnung, die man in die Künstliche Intelligenz investiert hat. Die Maschine sollte nicht nur den menschlichen Übersetzer überflüssig machen, sondern auch dem Verstehen der Sprache einen festen Grund verschaffen. Ihre Ergebnisse mögen jetzt noch lächerlich erscheinen, aber jedenfalls der Versuch liegt in der Konsequenz ihrer Entwicklung, die unzureichende Verstehenstechnik der Hermeneutik in einen Algorithmus zu überführen, der eine objektive Kontrolle des Sprachverstehens endlich möglich macht.

Tatsächlich liegen die Schwierigkeiten aber nicht an den begrenzten Fähigkeiten der jetzt verfügbaren Computer, die es noch nicht erlauben, die Komplexität natürlicher Sprachen zu erfassen. In den Grenzen der Übersetzungsmaschinen zeigt sich vielmehr ein prinzipielles Problem. Der Computer verlangt nach Daten, welche diskret, explizit und genau definiert sind. Sprachliches Verstehen dagegen erfolgt durch implizites Kontextwissen. Die Semantik bräuchte damit für die Deduktion der Bedeutung einen letzten Kontext als Totalität des Wissens. Ein Sprecher hat diese Einheit seines Wissens als vagen und defizitären Horizont. Die Maschine dagegen ist auf vollständige Explikation angewiesen. Diese Schwierigkeiten haben in der KI-Forschung zu einem Paradigmenwechsel geführt, von der Gehirnmetapher über die Sprachmetapher zum Problem des Lernens. Diese Entwicklung der KI-Forschung zeigt, dass Expertenwissen nicht ohne Verlust in Regeln darzustellen ist. Heute sind eher der Talmud und das fallbezogene Räsonieren von Gerichten Vorbild der künstlichen Intelligenz. Gesucht sind Modelle für fallorientiertes Schließen aus Episoden. Auch in den nicht mehr streng sequenziell arbeitenden Parallelprozessoren führt die Entwicklungsrichtung gerade nicht zur Einlösung des Traums von der Maschine als idealem Sprecher. Denn mit dem Aufbau so genannter neuronaler Netze werden die Maschinen zu black boxes, die weniger programmiert als eher trainiert werden müssen. Die Übersetzungsmaschinen werden noch sehr viel besser werden. Aber die Utopie der transparenten Sprache werden sie aus prinzipiellen Gründen niemals einlösen: “Dies setzt die Annahme voraus, dass das Sprechen und Verstehen einer Sprache sowie das Übersetzen (aus der fremden in die eigene Sprache und umgekehrt) Vorgänge sind, die als das Beherrschen eines Kalküls bzw. Algorithmus angesehen werden können. Zugrunde liegt mithin die Vorstellung, dass es darum gehe, diejenige Grundregel und dasjenige Herstellungsverfahren zu finden, nach denen aus einer gegebenen Menge von Buchstaben eines Alphabets bzw. Grundfiguren nach bestimmten Vorschriften bzw. Grundregeln die jeweilige Sprachfigur hervorgebracht werde. Genau hier aber tritt ein doppeltes und grundsätzliches Missverständnis zu Tage:

(a) es ist, wie vor allem Wittgenstein gezeigt hat, irrig anzunehmen, der tatsächliche Sprachgebrauch, d.h. das tatsächliche Sprechen und Verstehen einer Sprache, werde durch vorab feststehende Regeln determiniert;
(b) Ausdrücke einer natürlichen Sprache verwenden, verstehen und übersetzen zu können, bedeutet gerade nicht, dass man einen Kalkül betreibt nach bestimmten Regeln. Entsprechend lassen sich auch keine Algorithmen des Sprechens, des Verstehens und der Übersetzung angeben.“

Das Problem der Übersetzung macht damit nur offensichtlich, was schon in der Einzelsprache gilt: Die Sprache lässt sich nicht nach der Architektur der Großrechner begreifen, wo es eine Zentraleinheit gab, in der die Regeln gespeichert waren, und Terminals, wo diese Regeln lediglich angewendet wurden. Vor allem die Sprachgeschichte hat gezeigt, dass die Ordnung der Sprache nach dem Muster des Marktes als “invisible-hand-Phänomen“ entsteht. Sie gleicht eher einem Netz, dessen Architektur vom einzelnen Nutzer – mehr oder weniger relevant – mitgestaltet wird.

Daraus folgt aber auch, dass Interpretation und Wiedergabe untrennbar vermengt sind: "Dementsprechend sind weder Artikulation noch Verständnis nur reproduktiv; sie sind vielmehr auch unkontrollierbar schöpferisch, und jede individuelle Sinnzuweisung verschiebt die geltenden Grenzen der semantischen Normalität." Der Rekurs auf eine in Bedeutungsbeschreibungen bzw. -erklärungen festgeschriebene, dem Sprachgebrauch buchstäblich "vorgeschriebene" Bedeutung kann nicht als Vorgabe für die Entscheidung über Sinn und Unsinn und damit über die Möglichkeiten und Grenzen einer Verwendung sprachlicher Ausdrücke einspringen. Das ist im übrigen der Grund dafür, dass Wörterbuch, Lexikon sowie alle sonstigen anerkannten und selbsternannten Autoritäten in Sachen Sprache mit ihren Bedeutungserklärungen und -definitionen immer wieder nur Beispiele über Beispiele für den Sprachgebrauch in bestimmten Kontexten geben können.

JM II, S. 212 ff.
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