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Internet und Hypertext |
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Natürlich wird man bei "Hypertext" sogleich an das World Wide Webals einer „Sammlung von Textsegmenten denken, die durch Hot-words miteinander verbunden sind.“ Und in der Tat hat Hypertext in der Technik des Internet seinen idealen materiellen Konterpart gefunden. Das Konzept des Hypertexts mit der nun möglichen Intermedialität kann erst so realisiert werden. Nicht nur Schrift, sondern auch Bild, Bewegung und Ton sind nun umstandslos gleichberechtigt und -bedeutend für immer erneute Anordnungen verfügbar. Von da her ist es verständlich, dass Internet und Hypertext mitunter gleichgesetzt werden. Denn hinter den „Hot-words“ bzw. den Hotspots der Imagemaps sind die Adressen der anderen Textsegmente gespeichert, zu denen man durch einen Mausklick auf das Wort gelangt. Dieses Zusammenspiel von Klick und Link ist aus dem Internet bekannt, das gewissermaßen einen riesigen, offenen Hypertext darstellt: man aktiviert ein markiertes Wort und erhält einen neuen Text, der vielleicht auf einem Computer am anderen Ende der Welt gespeichert ist. Bei einem geschlossenen Hypertext befinden sich alle Segmente auf demselben Computer (Server) und bilden eine stärkere Einheit, die Links sind in diesem Falle intern. Das Prinzip der nichtlinearen Struktur bleibt freilich dasselbe: Die Segmente sind nicht linear angeordnet wie die Perlen einer Kette oder die Kapitel eines Buches, sondern in der Form eines Netzes, das mehrere Wege von Punkt zu Punkt ermöglicht. Der Leser bewegt sich nicht allmählich und auf vorhersehbarem Weg durch eine Textfläche, sondern 'springt' von Punkt zu Punkt, von Link zu Link und stellt sich so seinen eigenen Text zusammen.“ Das Verhindern einer direkten Einschreibung eigener Worte und Bilder über die Bildschirmoberfläche in das Material der Textbasis durch die Trennung von „Authoring und Browsing“, wie sie im „Hypertext im WWW“ anzutreffen ist, widerspricht dem nicht. Sie bestätigt sogar das durch Hypertext freigesetzte Potenzial des Lesers als aktivem Autor. Denn gerade aus diesem Potenzial erwächst erst die Notwendigkeit, die jeweilige Textbasis durch aufwendige technische Maßnahmen vor Eingriff zu bewahren. Dies „erfolgt durch das Client-Server-Modell des Internet“. Aber auch die damit vollzogene Abschottung der entsprechenden Dateien kann nicht verhindern, dass der Anwender übertragene Dateien auf seinem Client-Rechner ablegen, mittels problemlos verfügbarer Software manipulieren und an anderer Stelle wieder ins WWW "hochladen" und sich somit allen Versuchen seiner Passivierung zum Trotz doch wieder in die Position eines Machers seines Textes setzen kann.
Ein Gleichsetzen von Internet und Hypertext mag also nahe liegen. Sie ist dennoch verfehlt. Bemerkenswert demgegenüber ist nicht nur, dass Nelson Begriff und Konzept des Hypertext in den 60er Jahren, lange vor dem Web geschaffen hat. Es gilt gerade auch im Hinblick auf die Arbeit des Juristen, der heutzutage zwar immer mehr auf Online-Recherchen unterwegs sein und auch die eine oder andere Entscheidungs- und Normtextsammlung auf CD in seinen PC einlegen mag, der es aber nach wie vor in der Hauptmasse immer noch mit bedrucktem Papier zu tun hat. Bemerkenswert ist schließlich, dass Nelson „hypertext“ als „fundamental, traditional and in the mainstream of literature“ sieht, wobei diese „für ihn der sich in historischer Tradition entfaltende Umgang mit Texten fiktionaler und nicht-fiktionaler Art“ ist.
JM II, S. 190 f. |
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