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Schlussregeln historischer Konkretisierung
Die Verknüpfung eines geltenden mit einem früheren Normtext wird meistens über die Darstellung von Kontinuität oder Diskonituität hergestellt. In der Kontinuitätserzählung hat der Gesetzgeber den alten Normtext unverändert übernommen, damit zugleich - vielleicht - auch früher vertretene Inhalte. In der Diskontinuitätsversion hat er den Text nicht übernommen, oder hat ihn zumindest geändert und damit jedenfalls zum Teil alte Lesarten unvertretbar gemacht.

Gemeinsam ist diesen Erzählweisen ein Ausbeuten des Entwicklungsgedankens. Dieses aus der deutschen und aus anderen nationalen Rechtsordnungen bekannte Muster findet man sogar noch im Europäischen Gemeinschaftsrecht. Dabei interpretieren die Gerichte eine neue Bestimmung so, dass die Kontinuität der Rechtsstruktur gewahrt wird. Das heißt, wenn die anderen Konkretisierungselemente im Ergebnis mehrere Möglichkeiten offen lassen, soll derjenigen Lesart der Vorzug eingeräumt werden, welche den Zusammenhang am besten gewährleistet. So leitet das Bundesverfassungsgericht einen Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze im Ausland aus der deutschen Verfassungstradition ab. Noch 1918 wurde die alte Reichsverfassung so geändert, dass die Erklärung des Krieges und der Abschluss von Friedensverträgen in allen Fällen, einschließlich des Verteidigungsfalls, von der Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, also der gesetzgebenden Körperschaft abhängig gemacht wurde (vgl. Art. 11 Abs. 2 RV). Die Weimarer Reichsverfassung übernahm in Art. 45 Abs. 2 den Grundgedanken dieser Regelung mit der Maßgabe, dass bei Kriegserklärungen und Friedensverträgen die Legislative "nicht mehr als bloß zustimmender Teil, sondern als Herr des Geschäfts erscheint: Kriegserklärung und Friedensschluss erfolgen (...) auf Grund und in Vollzug eines von ihr gefassten Beschlusses." Das Parlament wurde also zum "Akteur" von Kriegs- und Friedenserklärungen gemacht. Als 1956 die Bundeswehr eingeführt wurde, wurde dem Bundestag durch Art. 59 a Abs. 1 GG die Feststellung des Verteidigungsfalles übertragen; man knüpfte damit an die Regelung der WRV an. Nach damaliger Auffassung bedeutete dies, dass die Streitkräfte nur auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses eingesetzt werden dürfen. Daran hat sich durch Art. 115 a GG, der 1968 durch die Notstandsgesetzgebung Art. 59 a ablöste, nichts geändert. Denn diese Modifikation sollte nicht den Einsatz der Bundeswehr entparlamentarisieren, da eine militärische Verwendung der Streitkräfte außerhalb der im Grundgesetz geregelten Einzelfälle zwar möglich, aber auf Grund der damaligen Weltlage nur von theoretischer Bedeutung und damit nicht regelungsbedürftig war. Trotz der Aufhebung des Art. 59 a GG hat der Verfassungsgesetzgeber den Parlamentsvorbehalt für alle damals als möglich angesehenen Einsätze aufrechterhalten. Obwohl es aktuell an einer ausdrücklichen Regelung fehlt, ist dieser Vorbehalt nie aufgegeben worden. Die Verfassungstradition spricht damit für einen Parlamentsvorbehalt beim Militäreinsatz im Ausland.

Wenn aber der Normtext vom Gesetzgeber verändert wird, dann ist die Kontinuitätsregel suspendiert. Es ist dann im Gegenteil davon auszugehen, dass diese Modifikation zu einer neuen Lesart führen muss. Hier zeigt sich wieder die Verschränkung von historischer und genetischer Auslegung. So wird für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 87 a Abs. 2 GG auf Inlandseinsätze vorgebracht, dass diese Vorschrift den Art. 143 a F GG ersetzt habe, der seinerseits nur die Verwendung der Streitkräfte bei innerem Notstand betraf. Daraus könne man schlussfolgern, dass Art. 87 a GG ausschließlich Einsätze der Bundeswehr im Inneren regeln solle. Dagegen wird jedoch zurecht vorgebracht, dass der Wortlaut des Art. 143 a F GG nicht ohne entscheidende Veränderung übernommen wurde, so dass auf eine inhaltsgleiche Anwendung nicht geschlossen werden kann.

Dem wiederum entgegnen die Anhänger der restriktiven Sicht, bei einer vom Verfassungsgeber beabsichtigten Erweiterung des Regelungsbereichs auf Auslandseinsätze müssten dafür Anhaltspunkte in den Gesetzgebungsmaterialien zu finden sein. Das sei aber nicht der Fall. Die Äußerungen der im Gesetzgebungsverfahren Beteiligten untermauerten vielmehr die Ansicht, damals habe man ausschließlich den Einsatz im Inneren normieren wollen. Zitiert wird in diesem Zusammenhang immer wieder ein Formulierungsvorschlag, wonach die Streitkräfte im Inneren nur aktiv werden dürften, soweit es das Grundgesetz zulasse.

Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass dieser Formulierungsvorschlag eben keinen Eingang in Art. 87 a Abs. 2 GG gefunden hat, dass dieses Argument somit gegen eine Beschränkung des Regelungsbereichs auf Inlandseinsätze spricht. Der Zusatz "im Inneren" wäre ohne weiteres möglich gewesen, wenn ein derartige Beschränkung beabsichtigt gewesen wäre.

Zudem übersieht diese Auffassung, dass der Rechtsausschuss in seinem Abschlußbericht vorschlug, "die Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte in einem Artikel zusammenzufassen (...) dabei sollte auch einbezogen werden die Regelung über den Einsatz der Streitkräfte im Innern." Dies spricht deutlich für die Auslegung, dass sich Art. 87 a Abs. 2 GG auf Inlands- und auf Auslandseinsätze beziehen sollte.

Diese beispielhaft geschilderte Debatte zeigt anschaulich, wie historische und genetische Konkretisierung bei der Frage von Kontinuitäts- oder Diskontinuitätsregel mit einander verbunden sind.

JM I, Rn. 361b
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