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Linguistik Rechtslinguistik: Sprache des Rechts
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Gesetzesbindung, Verfassung
Das integrale Modell der Strukturierenden Rechtslehre kann im Unterschied zu nur additiven Modellen die juristische Argumentation innerhalb des Gesetzes und der von Art. 97 Abs. l GG statuierten Gesetzesbindung begreifen. Durch die Unterscheidung von verschiedenen Textstufen wie: Normtext, Normprogramm, Normbereich, Rechtsnorm und Entscheidungsnorm kann sie die juristische Argumentation auch von rechtsstaatlichen Anforderungen her strukturieren, kontrollierbar machen. An die Stelle einer abstrakten philosophischen Rationalitätsanforderung tritt damit die relative, aber juristisch konkrete Rationalität eines gewaltenteilenden und demokratischen Rechtsstaats.

Das Gesagte folgt aus der Natur der Jurisprudenz als einer praktischen Wissenschaft. Rechtswissenschaft darf im demokratischen Rechtsstaat auf optimale Diskutierbarkeit ihrer Ergebnisse und Begründungsweisen nicht verzichten. Auch als einer Normativwissenschaft ist ihr die Intention zur (nur rational zu leistenden) Allgemeingültigkeit aufgetragen. Die Forderung möglichst weitgehender Rationalität der Rechtsbildung folgt aus der Unmöglichkeit ihrer vollständigen Rationalität; eine solche anzunehmen hieße, den Entscheidungs- und Wertungscharakter von Recht zu verkennen. Dieses Eingeständnis umschreibt das Feld des Möglichen. Ohne die Ernüchterung rationalistischen Überschwangs könnte sich Ideologie unumgrenzt, unkontrolliert entfalten. Dagegen muss im demokratischen Rechtsstaat das Ergebnis der Normkonkretisierung nicht nur in seiner Richtung deutlich werden, sondern auch in der juristischen Qualität seiner Einzelmomente, nach seinen rechts-, Staats- und verfassungstheoretischen Voraussetzungen, nach den Schritten des realen Entscheidungsvorgangs und nach den verwendeten Maßstäben; aber auch nach den im einzelnen nicht rationalisierbaren Wertungen, Überzeugungen oder Abwägungen, soweit solche das Urteil (mit)tragen. „Maximale" Rationalität erhellt ihr eigenes Vorgehen möglichst redlich; „optimale" Methodenehrlichkeit provoziert im nachprüfenden juristischen Bewusstsein möglichst wenig pauschale Wertungen. Damit ist kein utopischer Perfektionismus gemeint, sondern eine Darstellung der Konkretisierungsvorgänge, welche die ihnen zugrundeliegende Anstrengung der Vermittlung von Sachverhalt, Normtext, Normprogramm, Normbereich mit den Mitteln juristischer Methodik auch in ihrer Begrenztheit offen legt, statt sich hinter sekundär und zielbewusst eingesetzten, pauschal bezeichnenden oder unter falscher Flagge segelnden rhetorischen Argumenten zu verschanzen.

Geschichtlich-politischer Sinn einer Verfassung ist es, bestimmende Grundordnung eines bestimmten Gemeinwesens einschließlich seiner divergenten Kräfte zu sein. Verfassungsrecht ist positives Recht. Der allem Recht innewohnende (wenn es auch nicht voll definierende) Entscheidungscharakter wird in diesem Bereich besonders fühlbar. Eine Verfassung muss sich aus den Auseinandersetzungen der Gegenwart und Zukunft nicht „neutral" heraushalten. Mit den Mitteln des Rechts bezieht sie Stellung, errichtet sie Grenzen, bezeichnet sie Markierungen - und das mit strukturell und funktionell wechselnden Graden normativer Dichte. Verfassungsrecht betrifft die Begründung des staatlichen Gemeinwesens und seiner Rechtsordnung im ganzen. Seine Vorschriften sind durch ranghöhere Rechtsnormen nicht abgesichert. Seine Regelungsbereiche sind weitmaschig, fundamental, „politisch", geschichtlicher Veränderung in erhöhtem Maß ausgesetzt. Sie sind in besonders geringem Grad rechtserzeugt, besonders wenig durch detaillierte rechtliche Traditionen vorgeprägt. Die Verbindung solcher struktureller „Offenheit" mit dem normativen Zweck der Begründung des Gemeinwesens und der gesamten Rechtsordnung macht die spezifischen Schwierigkeiten verfassungsrechtlicher Normsetzung und Normkonkretisierung verständlich. Ebenso deutlich ist die Notwendigkeit, eine von der rechtsgeschichtlichen, der rechtstheoretischen, der zivil- und strafrechtlichen Methodik in Einzelheiten graduell abgehobene Methode des Verfassungsrechts zu entwickeln, die sich an diesen Schwierigkeiten orientiert. Liberal-rechtsstaatliches und demokratisches Verfassungsrecht hat in Deutschland eine noch kurze Geschichte. Noch kürzer ist die Tradition deutscher Verfassungsgerichtsbarkeit. Der Mangel an vorgeformten und insoweit eine Basis für neue Entwicklungen bildenden Rechtsfiguren und Entscheidungsmustern wird verfassungsrechtliche Methodik in allen Bereichen der Konkretisierung und nicht zuletzt in Verfassungsgerichtsbarkeit und Wissenschaft noch weiter prägen. Verfassungsrecht, Verfassungsgesetzgebung und -konkretisierung haben dieser Lage zum Trotz die Aufgabe, die politische Einheit des staatlichen Verbands zu aktualisieren, Grundlagen und Maßstäbe für Normsetzung und Normverwirklichung in der unterverfassungsrechtlichen Rechtsordnung zu liefern und neben dieser Garantie von Legalität auch die Erzeugung, Anerkennung und Erhaltung von Legitimität im Sinn des inhaltlich akzeptierten „Richtigen" des Sozialverbands zu gewährleisten.

JM I, Rnn. 21 f., 101, 110, 120, 159, 257, 270, 270, 291 f., 301, 312, 407, 427, 538 ff., 565
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