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Linguistik Rechtslinguistik: Sprache des Rechts
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Bestimmtheit
Einen wichtigen Schritt von der semantischen zur pragmatischen Sprachtheorie stellen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bestimmtheit dar. Es vollzieht sich hier der Übergang von der Sicht einer im Text vorgegebenen Bedeutung zur Betrachtung der Aktivität des Lesers, also von der Bestimmtheit zur Bestimmbarkeit des Textes: "Das Erfordernis der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen verwehrt es dem Gesetzgeber jedoch nicht, in der Ermächtigungsnorm Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. (Vgl. BVerfGE 48, 210 [222]). Vielmehr genügt es im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes (stRspr; vgl. BVerfGE 8, 274 [307]; 80, 1 [20 f.])." Bestimmtheit kann nicht durchgängig als unmittelbare Verständlichkeit für den Bürger begriffen werden. Sonst würden riesige Regelungsmaterien der Unwirksamkeit anheim fallen. Es genügt in komplexen Regelungsbereichen die Bestimmbarkeit im Rahmen der Tätigkeit der professionellen Rechtsarbeiter. Mit Hilfe der anerkannten Auslegungsinstrumente muss dem Normtext eine nachvollziehbare Bedeutung zugewiesen werden können.

Die andere Seite des Bestimmtheitsproblems stellt sich als Frage nach den Anforderungen, welche für den Gesetzgeber bei der Formulierung eines Normtexts gelten. Die Überprüfung der in § 43 a StGB neu eingeführten Vermögensstrafe gab dem Bundesverfassungsgericht Anlass, diese Kriterien zu präzisieren. Zunächst bemerkt man bei dieser Entscheidung wieder, dass das richterliche Wissen in Form einer formulierten Theorie hinter dem tatsächlich praktizierten Können des Gerichts zurückbleibt. Beim Formulierungen des gerichtlichen Selbstverständnisses wird der grammatischen Auslegung eine zentrale Rolle als unübersteigbare Grenze der Konkretisierung zugewiesen. Damit ist das grammatische Element natürlich überfordert. Auf der im Urteilstext folgenden Seite werden im Rahmen der praktischen Diskussion dann aber zur Bestimmung der Grenzfunktion – zu Recht - alle Auslegungsinstrumente herangezogen, so dass sich hier wieder die Beobachtung bewahrheitet, dass das richterliche Können komplexer ist als die richterliche Theorie. Auch das dort formulierte Bekenntnis zur objektiven Auslegungslehre wird bei näherem Zusehen nur noch als Vorzugsregel verwendet, wonach – wiederum zu Recht - die Entstehungsgeschichte hinter den Ergebnissen von grammatischer und systematischer Auslegung zurücktreten muss. Im Ergebnis sei der Gesetzgeber beim Formulieren des § 43 a StGB den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht geworden und habe gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Begründet wird dies mit der Weite des Sanktionsrahmens, dem Verzicht auf eine Obergrenze und der praktischen Schwierigkeit, das Vermögen des Betroffenen im Einzelfall zu ermitteln. Der argumentative Kern besteht in Folgendem: "Bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsfolgenregeln zu stellen sind, geraten also zwei Verfassungsprinzipien in ein Spannungsverhältnis, das weder durch einen allgemeinen Verzicht auf Strafrahmen noch durch eine grundsätzliche Entscheidung für möglichst weite richterliche Strafzumessungsspielräume aufgelöst werden kann. Schuldprinzip und Einzelfallgerechtigkeit auf der einen Seite sowie Rechtsfolgenbestimmtheit und Rechtssicherheit auf der anderen Seite müssen abgewogen und in einen verfassungsrechtlich tragfähigen Ausgleich gebracht werden, der beiden für das Strafrecht unverzichtbaren Prinzipien möglichst viel an Substanz belässt. Der Strafgesetzgeber erfüllt seine Pflicht, wenn er durch die Wahl der Strafandrohung sowohl den Strafrichter als auch die betroffenen Bürger so genau orientiert, dass eine Bewertung der tatbestandlich beschriebenen Delikte deutlich wird, der Betroffene das Maß der drohenden Strafe abschätzen kann und dem Strafrichter die Bemessung einer schuldangemessenen Reaktion möglich ist." Der Anwender muss anhand des einfachen Rechts in die Lage versetzt werden, Rechtsfolgenbestimmtheit zu erreichen. Man kann ihm nicht aufbürden, den Konflikt zwischen Verfassungsprinzipien aufzulösen. Die funktionelle Gewaltenteilung fordert, dass der Gesetzgeber selbst den Konflikt auf der Verfassungsebene in seinem Normtext löst und dem Anwender nur einen Spielraum für Härtefälle eröffnet. Dieser Umstand ist schon aus der Dogmatik von Grundrechten ohne geschriebenen Vorbehalt bekannt. Auch dort kann man die Aktualisierung verfassungsimmanenter Schranken nicht dem Richter überlassen, sondern braucht auch bei Vorliegen einer solchen Schranke immer noch zusätzlich ein einfaches Gesetz. Ebenso ist es bei der Bestimmtheit. Auch hier bleibt für die Verfassungsebene der demokratisch legitimierte Gesetzgeber zuständig. Entgegen dem Minderheitsvotum kann man diesen Gewaltenteilungsaspekt nicht durch Hinweise auf die Einzelfallgerechtigkeit überspielen. Diese erfordert in der Tat einen Spielraum, aber eben im Wortlaut des einfachen Gesetzes. Bei der Formulierung des 43 a StGB hat der Gesetzgeber jedoch zur Lösung des Verfassungskonflikts zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Vorhersehbarkeit keine Vorgabe geliefert, die dem Richter einen Spielraum überlässt, sondern er hat diesen Konflikt vollständig offen gelassen. Darin liegt der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

JM I, Rn. 67c
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