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Bereichsdogmatik |
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Systematische Konkretisierung umfasst in aller Regel neben dem argumentatorisch dargestellten Kontext der Wortlaute zugleich den Zusammenhang der sachlichen Strukturen der normativ relevanten Ausschnitte der Regelungsbereiche. Dieser ist durch Analyse der Normbereiche der systematisch miteinander verbundenen Vorschriften zu erhellen. Das kompliziert das systematische Verfahren. Es zwingt aber auch dazu, in seinem Rahmen stärker als bei vorgeblich bloßer Textentfaltung von postulierenden zu faktisch belegbaren Schlüssen überzugehen. Für systematische Grundrechtsauslegung im besonderen stellt sich die Aufgabe, das grundrechtliche Normprogramm nicht etwa aus den Normbereichen und Normprogrammen unterverfassungsrechtlicher Vorschriften unmittelbar aufzufüllen. Diese sind vielmehr ihrerseits an Normprogramm und Normbereich der Grundrechte zu messen und im Konfliktsfall zu korrigieren. Die Grundrechte sind in besonders hohem Grad in ihren Normbereichen abgestützt. Sie bedürfen wegen ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit (Art. l Abs. 3 GG) sachlicher Maßstäbe, die aus ihrer eigenen Bereichsdogmatik einsichtig gemacht werden können, ohne von Gnaden der einfachen Gesetze zu leben. Das Einbeziehen grundrechtlicher und sonstiger verfassungsrechtlicher Normbereichselemente kann insoweit eine Entwicklung hindern helfen, die als „gesetzeskonforme Auslegung der Verfassung" bezeichnet wird.
Es ist kein Zufall, dass die Rolle des die Entwicklung der Rechts- und der Entscheidungsnorm (zusammen mit dem Normtext) provozierenden praktischen Falls und die Beiträge des Normbereichs zur Normativität von Rechtsnorm wie Entscheidungsnorm zuerst in der Praxis und nicht zuletzt in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung fühlbar wurden. Dass die Judikatur die über die herkömmlichen Kunstregeln und über sprachliche Auslegung insgesamt hinausgehenden Elemente der Rechtsarbeit nicht eigens reflektiert hat, bleibt daneben zweitrangig. Die Unterscheidung von Sachbereich, Fallbereich, Normbereich und Normprogramm, deren weitere Differenzierung auf die Eigenart des vorliegenden Rechtsfalls hin und das Arbeiten mit diesen Strukturbegriffen können weder richtige Entscheidungen gewährleisten noch die herkömmlichen und die neueren methodischen Hilfsmittel ersetzen. Sie sollten sie aber nunmehr auch in der praxisbezogenen Reflexion juristischer Methodik ergänzen, nachdem sie es in der Praxis der Sache nach bereits tun. Diese Strukturaspekte bieten zusätzliche Elemente methodischer Differenzierung, detaillierten Begründungs- und Darlegungsstils. Für verfassungsrechtliche Methodik haben sie ihre Notwendigkeit als Mittel der Rechtsprechung und der Rechtsprechungsanalyse erwiesen. Die Urteilskritik kann genauer gefasst, und die normative Begründung der Entscheidungen kann dadurch schärfer kontrolliert werden, dass auch sekundär sprachlich vermittelte Sachaspekte, also Realdaten, einbezogen werden. Sie erweisen sich für die Praxis als unausweichlich, ohne mittels sprachlicher Interpretation gewonnen zu werden. Für das Verwaltungsrecht können solche Gesichtspunkte etwa für notwendig sachorientierte Normativbegriffe wie „Verhältnismäßigkeit", „Erforderlichkeit", „Geeignetheit" usf., für Probleme des Gemeingebrauchs, des „Normen-" oder „Sachwandels", zur sachlichen Fundierung von Ermessensbegriffen und unbestimmten Rechtsbegriffen und in ähnlichen Zusammenhängen fruchtbar gemacht werden. Trotz ihrer induktiven Entwicklung aus dem Staats- und Verfassungsrecht stellt die hier vorgelegte Konzeption als rechts(norm)theoretischer Ansatz mit methodischen Folgerungen, als Formulierung einer allgemeinen Strukturtheorie von Rechtsnormen auch an die ändern Teildisziplinen, besonders an Strafrecht und Zivilrecht den Anspruch, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Soziologie, Geschichte, Kriminologie und vergleichbare Forschungsgebiete nicht länger nur als das „bloße Material" zutragende „Hilfswissenschaften" zu behandeln. Sie verlangt vielmehr, deren Fragestellungen und Teilergebnisse in Richtung auf (Teil-)Synthesen zu verarbeiten, die ihren normativen Bezugspunkt wie die methodische Legitimation ihres Zustandekommens der auswählenden Perspektive des Normprogramms als eines wesentlichen Elements juristischer Interpretation verdanken. Wenn auch die andren Rechtsdisziplinen zum Teil andre Fragen als die der verfassungsrechtlichen Methodik kennen, dürfte sich das Einbeziehen der Sachelemente des Normbereichs auch dort als zusätzliches Hilfsmittel rationaler Praxis empfehlen. Die zu leistende Verbindung mit sozialwissenschaftlicher Arbeit, das Verwenden soziologischer, politologischer, wirtschaftswissenschaftlicher und sonst vom Normbereich der zu konkretisierenden Vorschrift geforderter Daten im Vorgang der Rechtsgewinnung stellt sich dabei in erster Linie den Juristen selbst als Aufgabe. Der hochschulpolitische Wunsch nach Training in Grundlagenfächern in Fernsicht auf eine Reform der Juristenausbildung, die diesen Namen verdient, wie auch die Forderung interdisziplinärer Zusammenarbeit sind von der Struktur von Rechtsnorm und Normkonkretisierung her sachlich nur allzu gut begründet. Von der Konzeption in der Soziologie, die sich als „funktionale Methode" bezeichnete, wurde der Vorschlag einer Verbindung von Sinnexplikation durch funktionale Analyse und Sinnexplikation durch juristische „Hermeneutik" aufgegriffen. Dabei wurde an die Gegenläufigkeit beider erinnert. Funktionale Analyse erschwert fallgebundes Entscheiden durch das ihr eigentümliche Einbeziehen immer neuer Alternativen. Sie akzeptiert „keine thematische Verpflichtung auf Tradition".
Die Elemente des Normbereichs bilden methodische Zwischenstufen typologischen Charakters. Sie bezeichnen einen realmöglichen Strukturbereich für der Vorschrift potentiell zuzuordnende Rechtsfälle. Eine sie einbeziehende Methodik vermittelt über die Zwischenstufe der nach Normprogramm und Normbereich akzentuierten Konkretisierungstypik in Zusammenarbeit mit den übrigen Elementen den Fall mit dem Normtext. Normtext und Fall sind nicht isolierte Endpunkte der Normerzeugung, sondern in deren Vorgang integral einbezogen. Es wird nicht nur der Normtext mit dem Fall, sondern auch dieser mit dem Normtext vermittelt. Mit der typologischen Entwicklung von Normbereich und Normprogramm im Sinn der von Kommentarliteratur, Lehrbüchern und rechtswissenschaftlichen Monographien üblicherweise unternommenen Bereichsdogmatik einzelner Vorschriften oder Normgruppen wird nicht etwa eine Rechtssubstanz der geltenden Gesetze als schon vorgegebene nur noch entfaltet. Das gilt schon deshalb, weil die jeweilige Rechtsnorm angesichts der Provokation durch einen anstehenden Rechtsfall im Weg der „konkretisierenden" Konstruktion überhaupt erst geschaffen werden muss. Die Verteilung von Normprogramm und Normbereich (zusammen mit den ändern methodischen Hilfsgesichtspunkten) ist dabei auch je nach der Eigenart des Falls, der Struktur des Sachverhalts verschieden. Was die Vorschrift gerade für den anstehenden Fall „vor"schreibt, wird erst in Auseinandersetzung mit seiner Problematik unter Festhalten am Normprogramm und unter Beachtung der zusammen mit den übrigen Konkretisierungselemente zu ermittelnden rechtsstaatlichen Grenzfunktion des Wortlauts (bzw. des Normprogramms) klargestellt. Erweist sich, dass ein Fall strukturell und nach den Sinnvarianten, die das Normprogramm absteckt, nicht zum Regelbereich der fraglichen Vorschrift gehört, so ist weder der Normtext auf den Fall noch dieser auf den Normtext hin ausgerichtet. Das Nicht-Umsetzen einer Vorschrift präzisiert ihren Regelbereich ebenso, wie ihr Anwenden die Einzelheiten ihrer sachbestimmten Normativität anreichert. Solches Anreichern bietet zugleich die Sachgrundlage für normbezogene Theorie. Verfassungstheorie, die Theorie einer bestimmten, einer normativ geltenden Verfassung sein will, erarbeitet die Sachstrukturen verfassungsrechtlicher Normbereiche. Sie sollte es allerdings reflektiert tun. So hat sich besonders die Analyse grundrechtlicher Normbereiche als brauchbar nicht nur für grundrechtliche Bereichsdogmatik und einen Allgemeinen Teil einer Dogmatik der Grundrechte, sondern auch für deren Verfassungstheorie erwiesen. Darin zeigt sich eine rechts(norm)theoretisch begründete und methodisch kontrollierte Verbindung von Elementen der Verfassungskonkretisierung mit Aussagen der Verfassungstheorie. Diese Verbindung kann durch das Einbeziehen von Theorie-Elementen in verfassungsrechtliche Methodik wiederum der praktischen Arbeit an der Verfassung zugute kommen.
Ein engerer Begriff als jener der Strukturierenden Dogmatik verbindet sich mit dem gleichfalls technischen Ausdruck „Bereichsdogmatik". Das Konzept der Bereichsdogmatik wurde zuerst an Grundrechten entwickelt. Es fasst diese als sachgeprägte Garantien und ihre Dogmatik als Bereichsdogmatik auf: als rational strukturierte und für jedes Grundrecht gesondert auszuarbeitende Menge dogmatischer Aussagen, die streng an die grundrechtliche Einzelnorm gebunden sind. Grundrechtliche Bereichsdogmatik soll in diesem Sinn das Erarbeiten von Rechtsund Entscheidungsnormen rationalisieren helfen. Es geht nicht darum, einen Idealwert (Freiheit, Menschenwürde, Eigentum, Gewissen) zu ergründen; sondern darum, eine rechtlich positivierte, folglich normative Garantie mit Hilfe von Sprachdaten und Realdaten, auf dem Weg über Normprogramm und Normbereich der Rechtsnorm weiter zu Entscheidungsnormen konkretisierbar zu machen. Ein abstrakter Begriff von Freiheit muss - in der individuellen und sozialen Welt realisiert und dabei als positives Recht geformt - seine Abstraktheit verlieren (sachliche Betätigungen menschlicher Freiheit, Grundrechtsnorm der Menschenwürde, Garantie von Eigentum und freiem Gewissen). Jedes Konkretisieren bedeutet in dem Maß, in welchem inhaltliche Aussagen bestimmbar werden, zugleich Ausgrenzung und Abgrenzung. Zudem ist die einzelne Freiheitsgarantie in das sonstige Verfassungsrecht (andere Grundrechte, Kompetenz- und Verfahrensvorschriften, Verfassungsgrundsätze) sowie auf dem Weg über die Gesetzesvorbehalte und das Prozessrecht in die Rechtsordnung eingefügt, dadurch gestützt und ausgestaltet, aber auch relativiert und möglicherweise eingeschränkt. Das folgt aus der Eigenschaft der Grundrechte als Normen des positiven Rechts.
Die Analyse der Struktur von Grundrechten ergibt: Grundrechte sind - anders als herkömmlich behauptet wird - keine „ Generalklauseln ". Sie sind Normen mit gesteigert sachhaltigen Normbereichen. Ihre Positivität ist eine strukturierte; ebenso wie sich allgemein die Normativität rechtlicher Regeln als strukturiert herausgestellt hat. Zu den Einzelgrundrechten können und sollten sektorale Dogmatiken entwickelt werden. Je genauer diese gefasst und in generalisierbare Teilregeln differenziert sind, desto entbehrlicher werden auch in der Praxis die aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklichen bis unzulässigen Doktrinen und Praktiken von „Wertordnung", „Schrankenübertragung", „Güterabwägung" usw. Entsprechend wichtig ist die Diskussion empirischer Methoden für die Analyse grundrechtlicher Normbereiche.
JM I, Rnn. 42 f., 70, 365, 397, 399, 404, 489 |
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