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Bedeutung, Stereotypen |
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Bei Bedeutungskonflikten, wie vor Gericht, kann der eingefahrene Sprachgebrauch nie allein ausschlaggebend sein, da er immer nur als einer von mehreren Faktoren für die „Spezifizierung der Bedeutung“ im Dienst der grammatischen Argumentation eine Rolle spielt. „Bedeutungen sind einfach nicht im Kopf“ ; und sie geben auch keine den Sprechern „gemeinsame Methode oder Theorie der Interpretation“ ab oder eine „Grundlage gemeinsamer Konventionen, Regeln oder Regelmäßigkeiten.“ (Putnam, H.: Die Bedeutung von „Bedeutung") Sie sind nicht die Voraussetzung für Interpretation und Verständigung; sondern jeweils nur deren Ergebnis in Gestalt der Überzeugungen davon, was ein Sprecher mit seiner Äußerung sagen will oder was die Verwendung eines Zeichens in einem Text ausdrücken mag.
Das weist wieder auf die „Bestimmer“ von Bedeutungen hin, „die Welt und die anderen Menschen“; auf die Sprechergemeinschaft mit ihren – jeweils - als verbindlich und normal postulierten Überzeugungen. „Bedeutung“ ist nicht ein für alle Mal gegeben. Der Sprachgebrauch wandelt sich mit der Welt: „Selbst wenn ein Sinn noch so weit hergeholt ist, dass er eigentlich schon ‚abweichend’ ist, kann er noch einen deutlichen Bezug zum Hauptsinn haben. Zum Beispiel könnte es sein, dass ich sage: ’Hast du die Zitrone gesehen?’ und damit jene Plastikzitrone meine.“ Diese ist eine „Zitrone“ und ist es doch wieder nicht. Das merkt man spätestens dann, wenn man jemanden davor bewahren muss, hinein zu beißen. Ähnlich verhält es sich, um ein weiteres Standardbeispiel Putnams zu nennen, wenn man einen „Tiger“ als Spielzeug bezeichnet, nur weil es solche auch als Stofftiere für Kinder gibt. Man sähe es, aufs Ganze, sicher nicht gern, wenn sich diese Meinung durchsetzen würde. Denn spätestens bei der Begegnung mit einem „echten“ Tiger könnte sich das verhängnisvoll auswirken.
Die Bedeutung eines Ausdrucks kennen, eine Äußerung zu Recht beim Wort nehmen, heißt also, die richtigen Dinge dazu sagen zu können. Und die „richtigen“ Dinge sagen heißt, sich dem zu fügen, was in der jeweiligen Sprachgemeinschaft „stereotyp“ anerkannt wird“. Jemand der etwa „weiß, was ‚Tiger’ bedeutet“, sollte in der Lage sein, auf Verlangen so etwas zu sagen wie, dass es sich dabei um einen Vierbeiner, ein Säugetier, um eine große, gestreifte Raubkatze handelt. Dieser Beweis sprachlicher Kompetenz gegenüber anderen Sprechern bedeutet nun nicht, dass die fraglichen Bedeutungsmerkmale von „Tiger“ begriffsnotwendig seien oder, was auf dasselbe hinausläuft unbedingt tatsächliche Eigenschaften von Tigern sein müssten: „Dreibeinige oder albinische Tiger sind keine logisch unmöglichen Entitäten.“ Und „verlören Tiger ihre Streifen, so verlören sie damit nicht ihre Tigerheit“. Bedeutung ist eine durchweg soziale Angelegenheit. Sie ist dem unablässigen kommunikativen Treiben der Sprechergemeinschaft ausgesetzt, das immer auch an Sprache arbeitet.
Stereotype geben jene Folie ab, auf der sich das Wechselspiel von Konventionalität und Aktualität im Hinblick auf konkret gegenwärtige Äußerungen vollziehen kann. Auf der einen Seite „(können) sich in ihnen sprecherabhängige Beschreibungen“ zu allgemein gepflogenen Normalfällen „verdichten“. Sie verweisen dann auf „Eigenschaften, die (...) charakteristisch, ‚normal’“ sind. Zugleich kann sich der Sprecher aktuell auf alles Mögliche beziehen, solange noch irgend ein Zusammenhang zum Stereotyp erkennbar ist. Denn die in einem Stereotyp als Normalfall versammelten Faktoren kommen den entsprechenden Gegebenheiten nicht notwendig zu. Sie sind nur das, was die jeweilige Gemeinschaft sprachlich aus ihrer Welt macht: jeweils "eine konventional verwurzelte“, in gewisser Weise aber auch „möglicherweise völlig aus der Luft gegriffene ... Meinung darüber, wie ein X aussehe oder was es tue oder sei". „Da sie Meinungen darstellen, die in einer Sprach- oder besser: Kulturgemeinschaft bei ihren Mitgliedern vorherrschend sind, beziehen sich die Informationen, die in den Merkmalen wiedergegeben werden, in erster Linie auf Sichtweisen, die die Menschen von den Dingen haben und die in ihrer Sprache konventionalisiert sind und nicht auf Eigenschaften, die als gegeben angenommen und in Bedeutungsbeschreibungen sozusagen nur abgebildet werden.“ Insofern lassen sich, für die Rechtsarbeit besonders wichtig , Stereotype auch komplexeren Sach- und Sozialverhalten wie etwa dem des „Intellektuellen“ (Harras, G: Zugänge zu Wortbedeutungen) zuschreiben. Ein Intellektueller ist eine „Person“, „die wissenschaftlich oder künstlerisch gebildet ist, geistig arbeitet und deren Lebensform im Unterschied zu der anderer Menschen besonders stark von Reflexion, theoretischer Erörterung und analytischem, kritischem Denken geprägt ist“. „Intellektueller“ zu sein bedeutet so unter anderem, „Umwelt eher verstandesmäßig (zu) betrachten und eine Neigung zur kritischen Distanz gegenüber gesellschaftlichen Vorurteilen und Traditionen (zu) haben“. Als „Intellektuelle“ bezeichnet man häufig Menschen, die dazu neigen „den Verstandeskräften den Vorrang gegenüber Willen, Gemüt, Gefühl und dem Unbewussten sowie gegenüber dem praktischen Tätigsein zu geben.“ Das wiederum heißt, dass Intellektuelle dazu neigen „menschliches Handeln, geschichtliche Vorgänge und geistige Schöpfungen hauptsächlich oder ausschließlich auf verstandesmäßige Erwägungen bzw. Ursachen zurück(zu)führen.“ Sie sind von daher oft „'gefühlskalt', 'gefühlsarm', 'gefühllos', 'empfindungslos', 'unsensibel' oder 'übertrieben rational (eingestellt)'“ und vor allem „weltfremd“. Erkennbar zeigt dieses Beispiel Züge, die etwa dem im Kommentar auf dem Weg zur Bedeutung nachblätternden Juristen ganz geläufig sind: Stereotype sind oft komplex strukturiert. Ihre Bestandteile können nicht nur in einem gegenseitigen Erläuterungsverhältnis stehen, sondern auch gegenläufige oder widersprüchliche Momente enthalten (beispielsweise dann, wenn einerseits Intellektuelle als Bewohner von Elfenbeintürmen angesehen werden, ihnen aber aufgrund ihrer analytischen Fähigkeiten andrerseits eine hohe Verantwortung für die Gesellschaft zugemessen wird).
JM I, Rn. 351g |
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