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Bedeutung, Prototypen |
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Wie können die eingefahrenen Gepflogenheiten des Sprachgebrauchs semantisch die Rolle von Leitbildern spielen? Wie kann es kommen, dass etwa „Pinguine“ durchaus als „Vögel“ gelten, obwohl sie nicht fliegen können, sondern vielmehr schwimmen? Oder wie ist es möglich, dass jemand Wale als „Fische“ bezeichnet - wider das bessere Wissen, dass sie genau so Säugetiere sind wie etwa Tiger. Offenbar lässt sich das nicht so erklären, dass sie einen dem Spiel der kommunikativen Kräften entzogenen, für alle Beteiligten schulmäßig verbindlichen Bedeutungs“kern“ enthielten, in dessen peripherem Pausen“hof“ allenfalls die semantischen Spielereien einzelner Sprecher stattfinden können. Eine solche Auffassung wurde schon von Wittgenstein anhand des Begriffs des Spiels zugunsten des Konzepts der „Familienähnlichkeit“ eindrücklich wiederlegt, das die Quintessenz der Stereotypensemantik auf den Punkt bringt.
Das führt zu der Frage, wie ein Begriff seine Rolle für eine wirksame Unterscheidung überhaupt noch spielen kann. Doch wohl nur so, dass in der Reihe aller möglichen „Exemplifizierungen“ von Bedeutung einige Beispiele zentraler sind als andere, die man ebenfalls anführen könnte. Für die Frage, ob sich der Sprecher noch im semantisch Machbaren, sprich Verständlichen und Nachvollziehbaren bewegt, liefern diese dann Ansatzpunkte für eine Beurteilung als abweichend, abstrus, verfehlt oder unsinnig. Eine Meise oder ein Rotkehlchen ist für uns zweifellos ein besseres Beispiel für einen Vogel als ein Pinguin, ein Tiger oder Affe ein besseres für ein Säugetier als ein Wal. Daran wird man sich orientieren, wenn es darum geht, schwierige und zweifelhafte Fälle einzuordnen. In diese Bresche ( entstanden durch das Versagen der „realistisch“ wie der „idealistisch“ bereits vorgegebenen Kategorisierungen ) tritt die Prototypensemantik ein, die an das Konzept der Familienähnlichkeit anknüpft. Mit der Stereotypensemantik teilt sie eine ganz auf die Verständigungspraxis aufbauende Bedeutungstheorie. Kategorien sind demnach vom Verhalten der Sprecher abhängig. Ursprünglich wurden sie aus der empirisch-psychologischen Untersuchung der Reaktionen von Probanden gewonnen. Dabei stellte sich heraus, dass das Einordnen der angebotenen Beispiele den einen oder anderen teils leichter, teils schwerer fiel. Das sollte dann den Stellenwert der entsprechenden Beispiele für die Bildung einer Kategorie, eben eines „Prototyps“, einschätzen lassen. So gesehen, entspricht die Prototypensemantik der Einsicht des inneren Zusammenhangs von Bedeutungen und Überzeugungen. Angesichts ihrer von Fall zu Fall feststellbaren Unsicherheit und Offenheit ist sie eine graduelle Semantik. Beispiele können immer nur mehr oder weniger prototypisch sein; und die Übereinstimmung der Sprecher in dieser Frage ist, wie schon Wittgenstein schrieb, lediglich eine „in den Urteilen“. „Categories can be viewed in terms of their clear cases if the perceiver places emphasis on the correlational structure of perceived attributes such as the categories are represented by their most structured portions. By prototypes we have generally meant the clearest cases of category membership defined operationally by people's judgements of goodness of membership in the category.”
Die zunehmende Konsequenz dieser Einsicht bestimmte dann auch die weitere Entwicklung der Prototypentheorie. Zusammenfassend ergibt sich inzwischen folgende Charakteristik: „(1) Kategorien haben bestimmte Mitglieder, die als repräsentativer angesehen werden als andere, z.B. (...) ist ein Rotkehlchen für einen Amerikaner ein repräsentativeres Beispiel für die Kategorie Vogel als ein Huhn oder ein Pelikan ( bei uns wäre das wohl der Spatz!). Die als am repräsentativsten angesehenen Mitglieder einer Kategorie werden auch Prototypen genannt. (2) Dementsprechend ist Kategorienzugehörigkeit keine Sache von notwendigen und hinreichenden Bedingungen, sondern bestimmt durch Bündelungen von Eigenschaften, die die repräsentativsten Kategorienmitglieder charakterisieren, wobei aber keine dieser Eigenschaften notwendig und hinreichend für die Kategorienfestlegung sein muss. ... Es ist möglich, dass keines der Mitglieder einer Kategorie alle in einer Bündelung zusammengefassten Eigenschaften aufweist; einige Eigenschaften können jedoch wichtiger sein als andere. (3) Repräsentative Mitglieder einer Kategorie dienen als kognitive Referenzpunkte für Inferenzen. (4) Kategoriengrenzen sind unbestimmt, d.h. es gibt neben den Zugehörigkeitsurteilen 'gehört dazu' und 'gehört nicht dazu' auch solche wie 'unbestimmt', 'weder noch' 'bis zu einem gewissen Grad' usw. (5) Die Eigenschaften der repräsentativen Mitglieder bestimmen nicht die Kategorienzugehörigkeit insgesamt: Hühner, Pelikane, Vogel Strauße und ähnliches Getier sind ebenso Vögel wie Rotkehlchen oder Spatzen. (6) Bestimmte Kategorien sind grundlegender, „more basic“ als andere“. (Harras, G: Zugänge zu Wortbedeutungen) Für die juristische Frage, was denn nun die Worte des Normtextes „eigentlich“ bedeuten, ergibt sich aus alldem, auf einen Nenner gebracht, was Juristen immer schon wussten: Es kommt darauf an.
JM I, Rn. 351g |
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