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Analogieverbot
Nach § 43 Abs. 2 Satz l VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich in seinem Urteil vom 27. 10. 1970 durch "einschränkende Auslegung von § 43 Abs. 2 VwGO in Anlehnung an den Zivilprozess" (Leitsatz 1) über diesen Normtext hinweg. Die Vorschrift sei eine Sonderregelung, "die das Unterlaufen der für die Anfechtungsklage und für die Verpflichtungsklage geltenden besonderen Vorschriften verhindert (Vorverfahren und insbesondere Fristbindung)". In Fällen, in denen wie bei fristgebundenen Feststellungsklagen im Beamtenrecht oder wie bei Konkurrenz zu einer nicht fristgebundenen allgemeinen Leistungsklage - das Erreichen dieses Normzwecks sichergestellt sei, könne das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO unbeachtet bleiben. Dasselbe soll nach Ansicht des Senats im Anschluss an die auf ständige Rechtsprechung gestützte "Übung" im Zivilprozess dann gelten, wenn sich die Klage gegen Bund, Länder oder andre öffentlich-rechtliche Körperschaften richtet, "gegen Beklagte also, von denen man angesichts ihrer verfassungsmäßig verankerten festen Bindung an Recht und Gesetz die Respektierung von Gerichtsurteilen auch ohne dahinterstehenden Vollstreckungsdruck erwarten darf'.

Diese Folgerungen sind mit dem Normtext von § 43 Abs. 2 VwGO nicht mehr vereinbar und damit rechtsstaatlich unzulässig. Anders wäre es nur dann, wenn der Wortlaut nachweislich fehlerhaft oder missverständlich wäre. Dieser mit den Mitteln der Interpretation, hier vor allem genetisch und systematisch zu führende Nachweis unterbleibt. Außerdem nennt der Senat den Hauptzweck der Vorschrift nicht: die Verwaltungsgerichte vor mehrfacher Beanspruchung dann zu schonen, wenn der Kläger mit Gestaltungs- oder Leistungsklage etwas andres (und zwar mehr) erreichen kann oder hätte erreichen können. Dieser Zweck geht über die genannten Teilgesichtspunkte hinaus und wird vom Normtext des § 43 Abs. 2 Satz l VwGO ohne Fehlerhaftigkeit gedeckt. Die vom Gericht angestellten, auch sonst durch Normtexte übrigens nicht abgesicherten Überlegungen sind damit von der Grenzfunktion des im gegebenen Fall hinreichend deutlichen Wortlauts her unerheblich. Rechtsarbeiter in der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt haben die Aufgabe, Entscheidungs- und Begründungstexte hervorzubringen. Sie haben dabei die Amtspflicht, im Prozess der Rechtserzeugung von den einschlägigen Normtexten auszugehen. Sie müssen sich in der Frage der Zulässigkeit ihrer Normkonkretisierung an das vorgegeben Vertextete halten, eben an Gesetzes Wortlaut.

Die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wird denn auch nicht müde, diesen Grundsatz in ihren methodischen Leitlinien immer wieder zu erwähnen; allerdings nur, um ihn dann in der eigenen Spruch- und Entscheidungspraxis ebenso regelmäßig zu überspielen. Und die um das Problem der "Wortlautgrenze" kreisende rechtstheoretische Debatte legt den Schluss nahe, dass es sich bei der Verpflichtung auf den Gesetzeswortlaut genau um das Problem handelt, für dessen Lösung sie einstehen soll: das Problem der Gewaltsamkeit juristischer Semantik und das der Willkür richterlichen Entscheidens. Diesem Problem widmet sich die herkömmliche Literatur im Zusammenhang mit der Frage der Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut anhand des strafrechtlichen Analogieverbots besonders gern. In ihren realistischeren Teilen vermag sie nur resigniert festzustellen, dass sich aufgrund des unvermeidlich sinnschöpfenden und damit analogen Charakters allen Interpretierens die Forderung nach einer Grenzziehung zwischen "wortlautgerechter Auslegung" und einer den Rahmen des Gesetzeswortlauts sprengenden Analogie nicht zuverlässig ziehen lässt. "Diese Grenze 'gibt' es nicht." Und schon gar nicht lässt sich eine solche Grenze sprachtheoretisch dem juristischen "Akt des Textverstehens" abstrakt vorgeben und von außerhalb der Auslegung auferlegen. Für den Nachweis der Gesetzeskonformität ihrer Ergebnisse ist die juristische Auslegungstätigkeit, nüchtern beurteilt, auf sich selbst zurückverwiesen. Sie kann diesen Nachweis nur erbringen, indem sie argumentativ den ihr in der "juristischen Kommunikationsgemeinschaft" auferlegten Begründungspflichten nachkommt und damit ein in den entsprechenden Standards institutionalisiertes Misstrauen ausräumt. Eine Kontrolle richterlicher Interpretations- und Entscheidungstätigkeit kann darüber hinaus allenfalls "durch eine wache, interessierte und informierte Öffentlichkeit" wahrgenommen werden. "Richtiges Recht" kann nicht durch "richtiges Sprechen" gewährleistet werden, sondern kann sich nur als "legitime Sprache" beweisen. Und was für das strafrechtliche Analogieverbot im besonderen gilt, gilt allgemein für das Problem der Überschreitung des Bereichs einer Rechtsfindung aus dem wortlaut in Richtung auf die Rechtsschöpfung gegen das Gesetz.


JM 1, Rnn. 260 f., 526
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